Schriftsteller Franzobel ist ein Verfechter der kleinen Sünde. Bei Fleisch aus Massentierhaltung ortet er jedoch eine Überschreitung jeglicher Moral gegenüber der Schöpfung und plädiert für eine neue Bescheidenheit beim Essen.

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Im Fleisch ist heute mehr Chemie als früher in gedopten DDR-Sportlern, meint Schriftsteller Franzobel im Gespräch mit derStandard.at. Essen sei heute nur noch eine billige Karikatur von längst vergangenen Geschmackserlebnissen. Anstatt die Massenvernichtung der Tiere zu dulden, sollten wir Konsumenten wieder zu einer natürlichen Bescheidenheit zurückfinden, fordert der Steak-Liebhaber in seinem neuen Essay "Steak für alle".

derStandard.at: Können Sie als passionierter Fleischesser Ihr Steak noch genießen?

Franzobel: Natürlich. Aber so viel Steak esse ich gar nicht. Bei uns kommt oft Hirn, Leber oder Beuschel auf den Tisch, und da sollte man schon wissen, woher das kommt. Am Land habe ich einen Fleischhauer meines Vertrauens, und in der Stadt gibt es ein paar gute Märkte.

derStandard.at: Dioxin im Schweinefleisch, Geflügelpest, BSE: Der Fleischverzehr gleicht zusehends einem russischen Roulette. "Unglückliche Liebespaare erschießen sich nicht mehr, sondern gehen auf einen Tafelspitz", schreiben Sie in Ihrem neuen Essay "Steak für alle. Der neue Fleischtourismus". Verlassen Sie sich noch auf österreichische Gütesiegel?

Franzobel: Auf Gütesiegel und Bio-Stempel verlasse ich mich nur im äußersten Notfall, also im Supermarkt. Ich glaube, die Versuchung zum Tricksen ist bei Massenproduzenten viel größer als bei kleinen Betrieben. Wenn ich den Bauern oder Imker kenne, brauche ich kein Siegel auf dem Fleisch, den Eiern, dem Honig.

Leider gibt es auch genügend Geschichten von heimischem Fleisch, das in Spanien gemästet, in Polen geschlachtet, in Griechenland verpackt und in Dänemark verarbeitet worden ist. Das ist schon transporttechnisch ein Wahnsinn.

derStandard.at: Abgesehen von minderwertigem oder sogar gesundheitsschädigendem Fleisch. Tiere, die nie Sonne sehen – außer auf dem Weg zum Schlachthaus und mit Billigfutter auf monströse Ausmaße gemästet werden: Kann so ein Fleisch den Ansprüchen eines Gourmets genügen?

Franzobel: Wahrscheinlich ist Geschmack vor allem Erinnerung an ein früheres Erlebnis. Man kann also auch mit Billigfleisch aus der Styroportasse oder einem Fertiggericht ein längst vergangenes Geschmackserlebnis auftauen. Aber um damit glücklich zu sein, sollte man während des Essens dann zumindest fernsehen, mehrere Promille intus haben oder sich sonst wie ablenken.

derStandard.at: Ist für Sie qualitativ schlechtes Fleisch für die Masse ein Sinnbild für das soziale Ungleichgewicht in unserer Welt?

Franzobel: Es ist vor allem ein Sinnbild unseres Umgangs mit der Natur, die zusehends denaturalisiert wird. Die Gurken sind gerade, und die Haut der Paradeiser, die jetzt noch dazu Tomaten heißen, ist viel dünner als früher. Billigfleisch schrumpft in der Pfanne auf ein Drittel zusammen, und nach dem Verzehr stinkt man meist wie ein Hund, wenn er Futter aus der Dose bekommen hat.

Aber natürlich ist es auch eine Frage des Geldes, für einen Mindestlohnempfänger mit achtköpfiger Familie wird es schwer sein, ausgewogen und gesund zu kochen – vor allem, wenn man nicht kochen kann oder keine Zeit dafür hat. Da ist die Versuchung der Ersatznahrung im Supermarkt oder Fastfoodtempel dann schon groß. Fastfood kann man übrigens auch als Beinahe-Essen lesen. Hier müsste man mehr Volksbildung betreiben, was im Fernsehen mit den Dickencamps manchmal sogar passiert.

derStandard.at: Eine Radikalverweigerung sehen Sie offenbar nicht als Lösung, Sie schreiben in Ihrem Essay sogar von "Essnazis, die sich nur noch von Blättern und Hülsenfrüchten ernähren". Haben Sie schon einmal mit ausschließlich vegetarischer oder veganer Ernährung experimentiert?

Franzobel: Ein guter Freund von mir ernährt sich nur von Blättern, Früchten und Wurzeln. Er schaut sehr gesund aus. Mich hat die Selbstkasteiung nie interessiert, ich war immer ein Verfechter der kleinen Sünde. Und alles, was sich selbst als absolute Wahrheit anpreist, ist mir suspekt. Zweimal im Jahr ist das Bradl oder die Leberkäsesemmel herrlich. Man muss sich ja nicht nur davon ernähren.

derStandard.at: Sie malen launig Zukunftsszenarien von einer Welt mit Fleischverbot, in der sich die Menschen nur noch von Insekten, Gemüse und Vitaminsäften ernähren. Für den kalten Entzug wird es Schweinsbratenkaugummi geben. Gemäßigter kam dieser Vorschlag von den deutschen Grünen, die einmal pro Woche einen fleischfreien Tag in Kantinen fordern. Was halten Sie davon?

Franzobel: So weit ich von meiner Oma weiß, hat es früher überhaupt nur einen Tag in der Woche gegeben, an dem man Fleisch bekommen hat. Mich würde das nicht stören, es gibt ja genügend andere großartige Gerichte: Erdäpfelgulasch, Bröselkarfiol, Zucchiniauflauf. Also lieber zweimal Kaiserschmarren mit Kompott, einmal Rahmsuppe mit Erdäpfel, einmal Nudeln mit Schwammerl und erst dann wieder Fleisch, das aber dafür von einem Tier, das sein Leben auf einer Alm verbringen durfte und nicht im Tier-KZ.

derStandard.at: Ein umstrittener Vergleich, der gerne von PETA bemüht wird. Der Europäische Gerichtshof hat das deutsche Verbot der PETA-Werbekampagne "Der Holocaust auf Ihrem Teller" im vergangenen Jahr sogar bestätigt.

Franzobel: Bei diesem Vergleich schreien immer welche auf, ich halte ihn aber angesichts der Überschreitung jeglicher Moral gegenüber der Schöpfung für angebracht. Ja, wir dulden und fördern mit dem Drang zum Billigfleisch eine Massenvernichtung der Tiere. Wir zerstören den Regenwald, um Futter in Form von Soja anbauen zu können. Regionale Lebensmittelproduzenten auf der ganzen Welt gehen zugrunde. Das Essen ist zur Travestie verkommen.

derStandard.at: Ist ein Verbot bei so etwas Privatem wie Ernährung zu rechtfertigen?

Franzobel: Wenn man den Menschen oft genug vor Augen führt, wie die meisten Tiere gehalten werden und was im Fleisch alles drinnen ist, nämlich mehr Chemie als früher bei gedopten DDR-Sportlern, wird es kein Verbot mehr brauchen. Wenn man sich ansieht, wie sich der Weg der Nahrung bis zum Verbraucher in den letzten vierzig, sechzig Jahren gewandelt hat, wie sehr heute alles genormt, haltbar und verpackt ist und vor allem, wie viel Nahrungsimitate in der Nahrung sind, kommt einem ohnehin das Grausen.

derStandard.at: Ihre Oase in Sachen Fleischessen scheint Argentinien zu sein, Sie machen sogar "Steakausflüge" dorthin und haben in Ihrem Buch "Das Fest der Steine" davon berichtet. Was hat Argentinien, was der Rest der Welt nicht bieten kann?

Franzobel: In Argentinien ist man zu arm für künstliche Tiermast. Die Rinder stehen das ganze Jahr in der Pampa, und das schmeckt man. Auch die anderen Nahrungsmittel sind noch auf natürliche Weise bio, auch wenn sie nicht so heißen. Plötzlich merkt man wieder, wie ein Hendl oder ein Salat schmeckt – und früher einmal geschmeckt hat. Aber man muss für diese Geschmackserlebnisse nicht bis Argentinien fahren, oft reicht schon Bulgarien oder Griechenland. Ärmere Länder, in denen man noch nicht auf Flugzeugnahrung umgestellt hat.

derStandard.at: Sie beschreiben den Unterschied zu österreichischem Fleisch: Das argentinische Fleisch zergeht auf der Zunge wie Schokolade, jeder Biss wird zur Offenbarung. Kann man danach noch Fleisch in Europa essen?

Franzobel: Nach einem längeren Argentinien-Aufenthalt ist mir das Schnitzel meist wie panierte Pappe vorgekommen, vom Steak gar nicht zu reden, das ist dann nur eine billige Karikatur.

derStandard.at: Diese Woche war der Burger aus im Labor gezüchtetem Fleisch in aller Munde. Da weiß man wenigstens genau, was drin ist. Wäre das eine Alternative?

Franzobel: Das wird die Zukunft sein. In Fabriken wird das Fleisch gezüchtet, natürlich nur die besten Stücke, und Tiere wird es bloß noch im Zoo oder in ganz armen Ländern geben.

derStandard.at: Der Wissenschafter Mark Post ist zuversichtlich, dass das "Cultured Beef", oder vom Boulevard weniger schmeichelhaft "Frankenburger" tituliert, bald zu einem guten Preis massentauglich wird. Würden Sie reinbeißen?

Franzobel: Solange nicht über Generationen seine Verträglichkeit ausgetestet worden ist, wohl eher nicht. Aber irgendwann, wir werden es vielleicht gerade nicht mehr erleben, wird es gar nichts anderes mehr geben. Fleisch aus der Retorte statt Massentierhaltung zur Ernährung der Weltbevölkerung. Warum nicht? Ist das unethisch? Wir müssen nicht mehr töten, aber ein seltsamer Nachgeschmack bleibt trotzdem.

derStandard.at: Die Gewinnung von künstlichem Fleisch aus Stammzellen eröffnet doch auch völlig neue kulinarische Möglichkeiten. Keine Lust auf Pinguinburger, Mammutsteak oder gegrillte Flamingobrust?

Franzobel: Bis auf das Mammutsteak esse ich das lieber von richtigen Tieren – vielleicht, weil der archaische Gedanke von der Übertragung der Stärke oder gar der Seele durch das Essen des anderen in mir schlummert? Aber prinzipiell probiere ich ziemlich alles, auf Island Papageientaucherspieße und in Japan schwangere Fische und überbackenen Laich. Steak vom Krokodil, Schnecken, Froschschenkel, Seeigel, Heuschrecken – als Schriftsteller gehört das zur Recherche.

derStandard.at: Sie plädieren für eine natürliche Bescheidenheit. Was bedeutet das für Sie?

Franzobel: In meiner Jugend gab es in den Wirtshäusern immer vor allem viel. Riesige Fleischberge auf Pommeshaufen. Rennfahrerplatte hieß das beim Wirt zu Aurach. Mittlerweile gibt es außer in den Nobelrestaurants, in denen man Spatzenportionen bekommt, normale Mengen. Das Fernsehen quillt über vor Kochsendungen, aber paradoxerweise, es mag mit der Emanzipation zusammenhängen, kochen immer weniger Menschen. Das finde ich schade. Wenn man selbst kocht und sich etwas für die Herkunft der Nahrungsmittel interessiert, hat man einen anderen Bezug. Mehr braucht es nicht. Das Kleingedruckte auf der Verpackung lesen, Geschmacksverstärker vermeiden, keine Religion daraus machen und genießen. (Julia Schilly, derStandard.at, 13.8.2013)