Bild nicht mehr verfügbar.

Wiens Burg-Chef als Salzburgs Festspiel-Regisseur: Matthias Hartmann inszeniert "Lumpazivagabundus", Nestroys Zauberposse über das liederliche Kleeblatt Knieriem, Zwirn und Leim.

Foto: APA/BARBARA GINDL

Bild nicht mehr verfügbar.

Nicholas Ofczarek (Mi.) weist als Knieriem den Weg ins Glück, Michael Maertens (als Zwirn, re.) und Florian Teichtmeister (Leim) geben ihm Geleit. 

Foto: APA/BARBARA GINDL

Der Burg-Chef erklärt, ob und wie ein Deutscher Nestroys Wortwitz versteht.

STANDARD: Wie geht es Ihnen bei Ihrer ersten Nestroy-Inszenierung?

Matthias Hartmann: Ich bin mit Hochachtung und Respekt an die Arbeit gegangen, aber wie gut es ist, wusste ich - noch - nicht. Das ist auf Augenhöhe mit Shakespeare. Die Amplituden zwischen Kasperletheater und Weltweisheit springen in so abartigem Tempo hin und her, wie man es sonst nur bei Shakespeare kennt. Zwischenzeitlich war ich natürlich erschrocken und dachte, ich und Nestroy, das ist so, wie wenn ein Franzose nach England kommt und sagt: 'Na, dann mach ich euch mal den Hamlet.' Doch wenn ich Glück habe, gehen die Zuschauer nicht auf Distanz, weil das ein Piefke macht.

STANDARD: Verstehen Sie denn als Deutscher den spezifisch Nestroy'schen Humor und Wortwitz?

Hartmann: Es tat mir sicherlich gut, ein paar Jahre in Wien gewesen zu sein, ein bisschen reingeschnüffelt zu haben in das Lebensgefühl, ehe ich mich des Nestroy annehme. Sein Humor ist bitter und kommt in volkstümlicher Tracht des Wegs. Das Nicht-Ernstnehmen ermöglicht es, die Dinge tiefer und treffender zu sagen, das fehlt im deutschen Theater total. Es nimmt sich immer zu ernst, wirkt dadurch total angestrengt und bieder. Oder es bürstet gegen den Strich, nur um eine andere Perspektive zu haben. Wenn ich das höre! Es nervt mich zu Tode.

STANDARD: Sie bürsten Nestroy also mit dem Strich?

Hartmann: Weder noch. Die Kulissenteile werden mit einfachsten manuellen Mitteln rein- und rausgeschoben. Ich will nicht modernistisch beweisen, dass es aktuelle Zeitbezüge hat. Gute Stoffe verhandeln immer archaische Weltphänomene und brauchen keine Haudrauf-Aktualisierungen!

STANDARD: Was ist Ihre persönliche Erkenntnis aus Ihrer Beschäftigung mit Nestroy und "Lumpazivagabundus"?

Hartmann: Menschen, die uns anziehen, sind oft nicht die feinen Charaktere, sondern blöde, chauvinistische Arschlöcher. Wenn wir sie domestizieren, ans System anpassen, sind sie nicht mehr das, was wir lieben, sondern werden birkenstocktragende Familienväter. Der Zwirn will das nicht, er bleibt ein sexsüchtiger Monstermensch, der jeder Frau mit Anlauf ins Dekolleté springt. Das kann etwas Liebenswertes haben, aber auch etwas sehr Rohes, Banales. Auf alle Fälle ist es menschlich. Und der Knieriem, der das Kometenlied übrigens in der großartigen Originalfassung singt, ist selber dieser Komet, der sich selbst verbrennt und die Zerstörung anderer dabei in Kauf nimmt. Das ist totaler Fatalismus - das kenne ich, das kennen wir alle, im tiefsten Kern unserer Existenz. Der Leim wiederum ist der Gute. Und man kann erleben, wie furchtbar das sein kann. Mit dem will man auch nicht tauschen, obwohl es natürlich rein objektiv die bessere Lebenssituation ist.

STANDARD: Knieriem und Zwirn werden von Ihrem Winning Team Nicholas Ofczarek und Michael Maertens gespielt, Letzterer spricht in einem sehr deutschen Idiom ...

Hartmann: ... ja, das ist lustig, weil Maertens ein Piefke ist. Aber wenn man das Österreichern erzählt, sagen die: Ach, der ist doch längst eingemeindet. Er spricht die merkwürdigen Austriazismen, ohne zu versuchen, den Akzent nachzuahmen.

STANDARD: Einen Österreicher hätte es im Burg-Ensemble dafür nicht gegeben?

Hartmann: Doch, aber wenn man Maertens hat, will man es mit ihm machen. Ofczarek und Maertens sind wie Walter Matthau und Jack Lemmon, ein unglaubliches Paar, das sich gegenseitig zu Höchstleistungen anspornt. Und das gelegentlich versonnen auf der Bühne steht und wirkungsmechanisch darüber nachdenkt, wo noch die letzte Reserve zu holen wäre.

STANDARD: Wie schwierig ist es für Florian Teichtmeister als Leim, neben den beiden zu bestehen?

Hartmann: Das ist ein begabter Schauspieler, warum soll man den nicht auch an der Josefstadt finden? Ich verstehe die Aufregung nicht. Genauso in Frankfurt oder Hamburg. Wir Theaterleute sind ja ebenso ambivalent wie Nestroys Figuren, wir sitzen in den Kantinen, verraten einander und gehen gleichzeitig füreinander durchs Feuer. In einer Welt, in der die Menschen ausgesöhnt, gendermäßig ausgeglichen und schweizartig leben, entsteht kein Kunstwerk. Das entsteht nur auf dem Humus der totalen Ambivalenz.

STANDARD: Im Herbst, wenn auch der "Lumpazi" an die Burg übersiedelt ist, wollen Sie die Abgründe menschlicher Existenz ganz real untersuchen und Überlebende des Holocaust auf die Burg-Bühne holen. Wie kam es zu diesem Projekt?

Hartmann: Durch die Lebensgeschichte der Mutter eines Freundes: Sie entkam dem Warschauer Ghetto, weil sie sich, abgemagert und spindeldürr, unter die Frauenleichen mischte. Sie redete bis zum Tod nie mehr mit Deutschen. Ich hätte gern mit ihr gesprochen und fand es unendlich traurig, dass man keine Chance hatte, die Hand zu reichen, weil der Mensch plötzlich nicht mehr da war. Andererseits stehen mir die Bretter, die die Welt bedeuten, zur Verfügung, um sie für genau diese Lebensgeschichten zu öffnen.

STANDARD: Wie wollen Sie das auf der Bühne umsetzen, ohne Gefahr zu laufen, voyeuristisch zu sein?

Hartmann: Natürlich kann man als Theatermann nicht die spektakulärsten Geschichten sammeln, nach dem Motto: je böser, desto geeigneter. Es muss ein filigranes Geflecht von Menschen werden, die sich bereitfinden, ihre Geschichte zu erzählen. Viele wollen das nicht, weil sie ihre Geschichte für immer in sich begraben haben. Man kann als Deutscher schnell etwas falsch machen, Gefühle verletzen, es ist eine enge Gratwanderung, auf die ich mich gemeinsam mit Doron Rabinovici begebe. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 1.8.2013)