Stofftiere vor dem Innenministerium als Zeichen des Protests gegen die Abschiebung von Kindern.

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Wien - Junge Männer, die man in Zellen ohne Beschäftigungsangebote dunsten lässt, bis sich das aufgestaute Gewaltpotenzial entlädt: soweit der Hintergrund der jüngsten Skandalberichte aus dem Jugendstrafvollzug.

Kritisiert werden diese Zustände als Versäumnisse der Justizpolitik, als Ergebnis politischer Fehlentscheidungen. Doch sie haben auch eine ökonomische Grundlage, die über die Verantwortung des Justizressorts hinaus wirkt: Einen "eklatanten Mangel an Ressourcen für staatliche Aufgaben und deren zum Teil unflexiblen Einsatz, ein Zu-Tode-Sparen von sozialer Versorgung vor dem Hintergrund der Deregulierung", wie Manfred Nowak vom Wiener Ludwig-Boltzmann-Institut für Menschenrechte sagt.

Das Ausmaß des Problems gewinnt derzeit durch die wohl wichtigste menschenrechtliche Neuerung der endenden Legislaturperiode Konturen: durch die zusätzliche Aufgabenstellung für die Volksanwaltschaft, mit der das Fakultativprotokoll zum Übereinkommen der Vereinten Nationen gegen Folter und unmenschliche Behandlung (Opcat) sowie Teile der UN-Behindertenrechtskonvention (CRDP) umgesetzt werden.

Seit Juli 2012 ist die Volksanwaltschaft, die davor ausschließlich Beschwerdeorgan für Bürger war, auch für die präventive Prüfung staatlicher und privater Einrichtungen zuständig, in denen es zu Freiheitsbeschränkungen kommt. Kontrolliert wird unangemeldet in allen Gefängnissen, Psychiatrien, Kasernen, Alten- und Pflegeheimen sowie Einrichtungen der Jugendwohlfahrt und für Menschen mit Behinderungen. Zudem hat die Volksanwaltschaft die Kontrollaufgaben des bisherigen Menschenrechtsbeirats im Polizeibereich inne, von der Schubhaft bis zur Demo-Beobachtung: Eine große Verantwortung, die zum Leidwesen von Kritikern aber von parteinominierten Funktionsträgern statt unabhängigen Experten geschultert wird, weil das Auswahlverfahren im Nationalrat gleich geblieben ist: Menschenrechtsfortschritt mit Pferdefuß.

Derzeit sind Günther Kräuter (SPÖ), Gertrude Brinek (ÖVP) und Peter Fichtenbauer (FPÖ) als Volksanwälte im Amt. Ihre Parteiloyalitäten seien dabei unwichtig, betonen sie. Doch ihre Arbeit birgt politisches und soziales Konfliktpotenzial, wie es in dem von Parteiinteressen mitbestimmten Politalltag gern unter den Teppich gekehrt wird. Dass Alte in Pflegeheimen aus Personalnot schon nachmittags zu Bett gebracht werden und Gefangene im sogenannten offenen Vollzug 22 Stunden täglich hinter verschlossenen Zellentüren sitzen, dürfte Teil eines strukturellen Finanzierungsproblems sein: Wie realistisch sind nachhaltige Verbesserungen in Zeiten fortgesetzter Sparauflagen?

Verhinderte Beschwerden

Bisherige Erfahrungen lassen Skepsis aufkommen: Die Inklusion behinderter Menschen, die massive Umbauten und weit mehr persönliche Assistenz voraussetzen würde, als derzeit öffentlich bezahlt wird, kommt nur mühsam voran. Die sozialen Menschenrechte, Ansprüche auf soziale Sicherheit, Arbeit, Erholung und adäquaten Lebensstandard laut UN-Menschenrechtskonvention, sind im Unterschied zu den politischen Menschenrechten für den Einzelnen in Österreich nach wie vor nicht durchsetzbar. Beim Verfassungskonvent 2004 und 2005 verhinderte die ÖVP diesbezügliche Individualbeschwerden beim Verfassungsgerichtshof.

Aktuell wiederum will Österreich das im Juni in Kraft getretene Zusatzprotokoll zum UN-Sozialpakt nicht ratifizieren, welches für Individualbeschwerden wegen Bruchs sozialer Menschenrechte den Weg auf der Ebene der Vereinten Nationen freimacht. Das hiesige Sozialsystem übererfülle die vom UN-Sozialpakt verlangten Standards ohnehin, lautet hier ein Argument, das gut in das gern nach außen getragene Bild Österreichs als Teil der globalen Menschenrechtselite passt.

Doch auch wenn das Land im internationalen Vergleich zu den Menschenrechtsbefolgern gehört und in manchen Bereichen - Beispiel Gewaltschutzgesetze - eindeutig vorne mit dabei ist, wie sich bei der ersten universellen Menschenrechtsprüfung Österreichs durch die Uno im Jahr 2011 zeigte: Wer sich etwa den Zustand der österreichischen Asyl- und Fremdengesetze und deren Anwendung vergegenwärtigt, muss diesen Befund relativieren. Hier bestimmen Verschärfungen im Jahrestakt das Bild sowie Bestimmungen, die selbst von Juristen als unlesbar bezeichnet werden. Abschiebungen von Menschen, die dort, wo man sie hinschickt, Festnahme und Repressalien erwarten, lassen - wie im aktuellen Fall der pakistanischen Servitenkloster-Flüchtlinge - befürchten, dass es für manche Verfolgte keinen Schutz gibt, obwohl dies Aufgabe des Asylwesens ist.

Als äußerst langwierig wiederum hat sich in den vergangenen Jahren die Durchsetzung von Verbesserungen im Einflussbereich der Sicherheitsbehörden herausgestellt. Es brauchte zwei Jahrzehnte zähen Ringens, etwa vonseiten der Menschenrechtsorganisation Amnesty International, sowie Empörung nach Misshandlungen durch Polizisten, bis ins Strafgesetzbuch auch eine Bestimmung gegen Folter eingefügt wurde.

Mit Jänner 2013 trat der diesbezügliche Paragraf 312a, der den Vorgaben der UN-Antifolterkonvention entspricht, endlich in Kraft. Gleichzeitig wurde disziplinarrechtlich verbrieft, dass Amtsträger, die sich derlei Handlungen schuldig machen, zwangsläufig Amtsverlust droht: in Summe eine gewichtige Verbesserung. Doch bis die Message von der Unabdingbarkeit der Menschenrechte bis in die letzte Polizeiinspektion durchgedrungen ist, wird es laut Österreichs Amnesty-Generalsekretär Heinz Patzelt sicher noch weitere zehn bis 15 Jahre dauern: "Das setzt einen grundsätzlichen Kulturwechsel voraus." (Irene Brickner, DER STANDARD, 30.7.2013)