Urlaub heißt für viele: Endlich Zeit zum Lesen haben. Und vielleicht auch den einen oder anderen Gedanken zum Sinn und Unsinn des Lebens zu riskieren. Eine Buchauswahl für medizinisch Interessierte von Karin Pollack.

Warum, könnte sich jemand fragen, sollte ein gesunder Mensch die Geschichte einer Lebertransplantation lesen wollen? Ein langer Leidensweg, viele medizinische Details, Krankenhausalltag. Man könnte meinen, dass darin nichts wirklich besonders Attraktives zu finden ist. Sich an den Schmerzen anderer zu delektieren, ist auch keine gute Eigenschaft, nahe am Voyeurismus.

Leiden mit Humor

Doch in David Wagners Buch "Leben" ist das anders. Der Autor beschreibt zwar seinen langen Leidensweg, allerdings gänzlich unwehleidig. Im organischen Sinne kehrt er sein Innerstes nach außen, bewahrt sich aber trotzdem viele Geheimnisse. Und er beweist, dass es einem auch in widrigen Lebenssituationen gelingen kann, Humor und Gelassenheit nicht zu verlieren.

Zumindest im Rückblick, um den es in diesem Roman ja auch geht. Aufgeteilt in kleine, feine Portionen beschreibt der Autor sein Leben, das seit frühester Kindheit durch eine Autoimmunerkrankung geprägt wird. Sie zerstört seine Leber.

Weil er wenig davon spürt, beschreibt er es fast wie aus Sicht eines Kindes, recht unbefangen. Als Pech eigentlich. Seine Art damit umzugehen ist folglich rundum pragmatisch. Immer wieder fragt er sich selbst, wie sich das alles genau anfühlt und woran er im Angesicht der eigenen Endlichkeit denkt.

Momente einer Biografie

Da waren die großen Lieben seines Lebens, die mehr oder weniger wilden Jugendjahre, die Schlüsselmomente einer Biografie. Auch die familiären Bande des Autors bilden ein wiederkehrendes Motiv. Die früh verstorbene Mutter lässt ihn immer wieder auch an die eigene Tochter denken. Sie ist schließlich auch die Motivation, mit der Behandlung weiterzumachen.

Wagners kluge Beobachtungen schaffen es, aus seiner zutiefst persönlichen Geschichte Allgemeingültiges zu destillieren. Und tatsächlich überraschend in diesem Kontext ist sein immer wieder aufblitzender Humor, der die Lektüre zu einem wirklichen Vergnügen macht.

Spannend ist "Leben" auch. Dass das möglich ist, ist Wagners distanziertem Blick auf das menschliche Treiben, seinem Gefühl für Dramatik und seinen Ausflügen in die Weiten der Irrationalität zu verdanken. Und die ist Kranken und Gesunden gleichermaßen zugänglich und ein Grund, warum die Geschichte einer Lebertransplantation das Vehikel für Allgemeingültiges wird. Das Buch ist nicht nur medizinisch, sondern auch literarisch ein Kunststück geworden.

David Wagner: "Leben", Rowohlt 2013, 287 S., 20,60 Euro

 

Foto: Rowohlt

So wie es gutes und schlechtes Cholesterin gibt, gibt es auch guten und schlechten Stress, sagt der Neurobiologe, Arzt und Psychotherapeut Joachim Bauer. Schlechter Stress macht Menschen krank. Dass Letzteres im 21. Jahrhundert in Zeiten der Wirtschaftskrise immer häufiger passiert, hat Bauer dazu veranlasst, über Arbeit im Allgemeinen, ihre sinnstiftenden und krankmachenden Potenziale nachzudenken.

Kreative Muße

So erfährt der Leser einerseits viel darüber, wie der Körper funktioniert. Bauer richtet seinen professionellen Blick ins Gehirn und beschreibt die physiologischen Vorgänge, die dort Aktivitäten in Gang setzen. Adrenalin, Cortisol und Serotonin geben seit Beginn der Menschheitsgeschichte den Takt vor. Sie machen den Menschen extrem leistungsfähig. Dank eines gefinkelten inneren Belohnungssystems kann er sich auch unter widrigsten Umständen durchschlagen.

Wichtig und zunehmend in Vergessenheit geraten ist dabei jedoch die Balance, der Wechsel von Anstrengung und Ruhe, die der Neurobiologe in Zeiten, die er als "Kultur des neuen Kapitalismus" bezeichnet, in Gefahr sieht. Besonders vergiftend: Das Gefühl von Arbeitnehmern, Selbstbestimmung zu verlieren und Schachfigur zu sein.

Variable Arbeitsmoral

Bauer geht seine Betrachtungen über Arbeit aber nicht nur medizinisch, sondern auch kulturgeschichtlich an und beginnt bei den Ursprüngen, als die Menschen, um zu essen, noch jagen mussten. Es zeigt sich: Die Arbeitsmoral ist eine äußerst variable Größe. Drei Stunden täglich seien genug, dachte zum Beispiel der Römer Seneca, die jüdisch-christliche Tradition ("Im Schweiße deines Angesichts sollst du dein Brot essen") steht dazu im diametralen Gegensatz.

Eine Neudefinition erlebte die Arbeit noch einmal durch die Industrialisierung - und wurde zum philosophischen und schließlich politischen Spielball. Bacon, Hegel, Marx: Bauer vergisst keinen, der sich jemals in der Theorie mit Fragen der Beschäftigung und Gerechtigkeit befasste.

Was der Neurobiologe aktuell ortet, ist eine permanente Überforderung, die sich in steigenden Burn-out-Zahlen manifestiert. Hier bricht er die Lanze für ein unterschätztes Krankheitsbild, das er eindeutig von Depression abzugrenzen versteht. Schlussendlich ist das Buch ein Plädoyer für mehr Muße, weil Nichtstun Kreativität steigert. Lebensverbessernd, wenn Arbeitgeber und -nehmer sich danach richteten.

Joachim Bauer: "Arbeit", Karl Blessing Verlag 2013, 270 S., 20,60 Euro

Foto: Karl Blessing Verlag

Google ist gut, aber für so richtig komplizierte Wissensgebiete eine meist unbefriedigende Wissensquelle, entweder zu oberflächlich oder zu spezialisiert. Wer immer schon einmal verstehen wollte, wie die Maschine Mensch tatsächlich funktioniert, sollte es mit Sam Keans "Doppelhelix hält besser" probieren.

Koryphäen der Genetik

Der US-Wissenschaftsjournalist schafft eine Meisterleistung: Er beschreibt biochemische Zusammenhänge kurzweilig, allgemein verständlich und - das ist erstaunlich - mit viel Humor. Dass er alles Anekdotenhafte liebt, ist bereits auf der ersten Seite des Buches sonnenklar. Um Aminosäuren, DNA und Zellen in einen allgemein verständlichen Erzählfluss zu bringen, hält er sich an die Biografien der Wissenschafter, die in den letzten Jahrhunderten an der Entdeckung von Genen beteiligt waren.

Wer hat was, wann, wie und warum herausgefunden? Diese Fragen sind der Motor. Kapitel für Kapitel werden die Bausteine genetischen Grundwissens in ein historisches Umfeld eingebettet. Da geht es um die großen Entdeckungsreisen in die Arktis und die Gefahren beim Eisbärenessen. Um den dicken Gregor Mendel und seine Erbsen, einen Hiroshima-Langzeitüberlebenden oder Forschergruppen, die sich selbst (und den entdeckten Genen) lustige Namen gaben.

Zum Beispiel die Fly Boys (Fliegenbuben), die in einer New Yorker Wohnung mit Bananen Fruchtfliegen fingen, sie in Milchflaschen sperrten, warteten, dass sich genetische Mutationen ergaben - was auch gelang. Ein Meilenstein im Verständnis der Artenentwicklung! Sicher nicht zufällig sind die meisten von Keans Protagonisten Nobelpreisträger, gerechterweise erzählt er aber auch die vielen fruchtbaren Misserfolge, die - im Rückblick - mindestens ebenso wichtig für das Verständnis der Genetik waren.

Einprägsame Vergleiche

Zwischen den Biografien geht Kean jedoch durchaus ans Eingemachte. Da geht es um reine Chemie und physiologische Zusammenhänge. Dabei entpuppt er sich als Meister einprägsamer Vergleiche. Was iPhone-Kopfhörer und Proteinstrukturen gemeinsam haben, ist bewusstseinserweiternd. Jedenfalls werden Leser dieses Buches ein Knäuel fortan mit anderen Augen betrachten.

Schlussendlich ergibt sich durch dieses Buch ein besseres Verständnis des eigenen Innenlebens. Das ist die erwünschte Wirkung, die beim einen oder anderen eventuell eine gesunde Nebenwirkung hat.

Sam Kean: "Doppelhelix hält besser", Hoffmann & Campe 2013, 448 S., 25,70 Euro

Foto: Hoffmann & Campe

Nach Büchern wie Glücksmedizin oder Körperglück hat sich Werner Bartens, Wissenschaftsredakteur der Süddeutschen Zeitung, in seinem neuen Buch nun Beziehungsproblemen angenommen. Ein Ratgeberbuch für alle, die die monogame Beziehung/Ehe satthaben?

In gewissem Sinn schon, andererseits hat der Autor ganz gefinkelt auch für den Rest seiner potenziellen Leserschaft eine Reihe von Selbsterfahrungsmodulen eingebaut - das Kapitel "Welcher Beziehungstyp bin ich?" zum Beispiel taucht in abgewandelter Form immer wieder auf.

Entlarvte Scheinwahrheiten

Generell geht es auf den 256 Seiten aber darum, Verhaltensmuster zwischen Mann und Frau aufzudecken. Bartens wählt die evolutionäre Sicht, betrachtet die Spezies Mensch wie ein Verhaltensforscher und beweist, wie animalisch letztlich die Menschen agieren.

Vor allem Langzeitbeziehungen und die Frage, ob es Langzeitsex überhaupt gibt, scheinen ihn besonders interessiert zu haben. In gewohnter Manier hat er wunderbar recherchiert und viele Studien zusammengetragen. Damit gelingt es ihm, Scheinwahrheiten zu entlarven, die Frauenzeitschriften im kollektiven Gedächtnis verankert haben. Gegen den Strich bürsten ist Bartens' Stil. Sehr wohltuend in der Theorie.

Werner Bartens: "Was Paare zusammenhält", Droemer/Knaur 2013, 256 S., 13,40 Euro

Foto: Droemer/Knaur

Alle, die gerne Selbsterfahrungstests machen, werden ihre helle Freude haben. Vorausgesetzt, sie sind ein bisschen unzufrieden mit dem Leben, tappen stets in die gleichen Fallen und mögen unkonventionelle, weil bildliche Problemlösungsstrategien. "Vorhang auf fürs Glück ist eine Art Handlungsanleitung" zur Lebensveränderung.

Methode des Psychodramas

Die Autorin Heide-Marie Smolka, Psychotherapeutin in Wien, arbeitet nach der von Jakob Moreno begründeten Methode des Psychodramas. Demnach ist eine Persönlichkeit dann reif und gesund, wenn möglichst viele Anteile bewusst und integriert sind. Theaterspielen ist ein Weg, sich kennenzulernen. Daraus hat Smolka ein Buch gemacht, in dem es um die innere Bühne und den Umgang mit den unterschiedlichen Stimmen in sich geht.

Als Hilfestellung am Anfang steht ein Test zur Persönlichkeitsdefinition. Wer sich darauf einlässt, könnte sich neu kennenlernen. Nach jedem Kapitel gibt es Selbsterfahrungsmodule, die im Buch als Listen auszufüllen sind. Stress, schlechte Stimmung, Raucherentwöhnung: Smolka spannt den Bogen weit und schöpft aus ihrer beruflichen Erfahrung. Das hübsch illustrierte Bändchen ersetzt eine Psychotherapie allerdings ganz sicher nicht. (Karin Pollack, DER STANDARD, 29.7.2013)

Heide-Marie Smolka: "Vorhang auf fürs Glück. Drehbuch für mehr Lebensfreude", Knaur 2013, 223 S., 15,50 Euro

Foto: Knaur