David Moss, das 64-jährige Enfant terrible unter den frei improvisierenden Vokalisten in Krems bei Glatt & Verkehrt.

Foto: glatt & verkehrt

Krems - Sollte Glatt & Verkehrt jemals eine Veranstaltung gewesen sein, die mit Unworten wie "World Music" oder zumindest diskussionswürdigen Termini wie "Volxmusik" annähernd charakterisierbar war, dann hat das Kremser Festival spätestens anno 2013 endgültig jene Punzierung abgeschüttelt.

Unter der Leitung von Josef Aichinger und Albert Hosp ist das seit 1997 stattfindende Event zu einem inhaltlich frei flottierenden Unternehmen mutiert, das im doppelten Wortsinn Unerhörtes bietet: Klänge, die ebenso gut auf (stiloffenen) Klassikbühnen wie auf solchen von Jazzfestivals geboten werden können. Und immer öfter auch auf solchen für avancierte zeitgenössische Musik, vor allem der improvisierten Art.

Dass das Publikum diesen Weg mitgeht, beweist das ein ums andere Mal gut gefüllte, knapp 1000 Zuhörende fassende Auditorium im Hof der Winzer Krems: Drei der fünf Tage des dieswöchigen Glatt-&-Verkehrt-Hauptprogramms waren bzw. sind restlos ausverkauft (darunter auch der Samstag, für Sonntag sind noch Karten erhältlich). Dies als Fingerzeig für alle, die aus Angst vor einer möglichen "Überforderung" des Publikums lieber auf kommerzielle Kalkulierbarkeit setzen.

Mut hatte man etwa mit der Einladung des Christian Wallumrød Ensembles bewiesen: Das war doch ein heftiger Schwall nordischer Kühle im Winzer-Gehöft in den sonnenheißen Kremser Weinbergen.

Der norwegische Pianist verfolgt mit seinem mit Trompete, Tenorsaxofon, Violine, Cello und Schlagzeug/Vibrafon besetzten Sextett ein durchaus eigenwilliges Konzept, das sich nicht auf den vielzitierten "ECM-Sound" reduzieren lässt, auch wenn sie an diesen andockt. Elegische Melodiephrasen werden hier repetitiven rhythmischen Überlagerungen und Momenten klanglicher Abstraktion gegenübergestellt, bis hin zur Übermalung entrückter Lyrismen durch geräuschhafte Luftstöße der Bläser.

Autonomer Gestaltungswille

Kein Zweifel, die Musik des soeben erschienenen ECM-Albums Outstairs, die Wallumrød zum Besten gab, verriet autonomen Gestaltungswillen, auch wenn man tatsächlich zündende Ideen vermisste, die ab und an die wohlkontrollierte, getragene Aura durchbrochen hätten.

Nicht unbedingt hätte man bei Glatt & Verkehrt auch die Premiere eines ungleichen Stimme-Klavier-Duos vermutet: Marino Formenti, der langjährige Pianist des Wiener Klangforums, mittlerweile als Ligeti- bis Feldman-Interpret erfolgreich auf Solo-Karriere-Pfaden unterwegs, traf David Moss, das 64-jährige Enfant terrible unter den frei improvisierenden Vokalisten, hervorgegangen aus der New Yorker Downtown-Szene der 1980er-Jahre. Die beiden vergriffen sich genussvoll an Stücken aus knapp 700 Jahren Musikgeschichte: Stücke von Guillaume de Machaut wurde ebenso lustvoll dekonstruiert wie Beatles-Lieder. Moss, das überdrehte, vielstimmig tirilierende Riesenbaby, beherrschte die Bühne mühelos und ließ doch Raum für einen flexibel interagierenden, mitunter auch Fäuste und Ellenbogen einsetzenden Marino Formenti.

Mit Keziah Jones kehrte am Donnerstag auch ein bekanntes Gesicht auf die Glatt-&-Verkehrt-Bühne zurück: Schon 2010 hatte der aus Nigeria stammende Sänger-Gitarrist in einer fulminanten Soloperformance überzeugt, diesmal stellte er seine aus Delta-Blues, Folk, Afro-Beat und Funk gespeiste Gitarristik, geprägt von perkussiver Slap-Technik und komplexen Harmonien, im Kontext seines druckvollen Trios vor. (Andreas Felber, DER STANDARD, 27./28.7.2013)