Christine Mjka mit einem Foto aus Kindheitstagen, die nun ein Projekt beforscht.

Foto: Andy Urban

Wien - Nicht auffallen. Das verlangten die Mutter und die Oma oft von der kleinen Christine. Es war ein Ding der Unmöglichkeit. Christine Ulrich, heute Mjka, war wegen ihrer Hautfarbe ein Exot im Österreich der 50er-Jahre. Die gekräuselten Haare und den dunklen Teint hat sie von ihrem Vater. Das und dass er ein Besatzungssoldat gewesen ist, weiß die Liesingerin über ihn. Mehr nicht.

Doppelte Stigmatisierung

"Meine Mutter hat mir nichts erzählt. Ich will ihr da keinen Vorwurf machen. Als ledige Frau mit farbigem Kind war sie doppelt stigmatisiert" , sagt Mjka. "So war das in dem Nest." Die 64-Jährige meint Atzgersdorf, ein Viertel im 23. Bezirk von Wien. Dort ist Mjka groß geworden. "So a liab's Negerpupperl", hätten die Leute zur ihr, der Außenseiterin, gesagt, die mit "den Zigeunerkindern" spielte.

Von Historikern aufgestöbert

In Atzgersdorf hat sie später auch ihre Familie gegründet, vier Kinder großgezogen und als Hausbesorgerin gearbeitet. Heute bewohnt Mjka ebenda eine Gemeindebauwohnung, auf deren Couchtisch an diesem Sommertag ein dünner Stapel Papiere und Fotos bereitliegt - für die Historiker, die Mjka aufgestöbert haben, um sie für das Projekt "Lost in Administration" zu befragen.

Im Rahmen des bei der Uni Salzburg angesiedelten Projekts soll die Geschichte von Kindern afroamerikanischer Besatzungssoldaten in Österreich erstmals umfassend aufgearbeitet werden. "Wir schätzen, dass es Hunderte sind", sagt Historiker Philipp Rohrbach, der Zeitzeugen darum bittet, sich zu melden (Tel.: 0699/11 23 90 65). Gesucht werden auch ehemalige Betreuer und in Ämtern mit dem Thema befasste Leute. Auf Christine Mjka stießen die Wissenschafter durch Zufall.

Gefühlsaufreibende Reise in die Vergangenheit

Der Zufall führte auch 1984 Regie, als Mjka am Standesamt etwas erledigen wollte und der Beamte aus dem Akt vorlas: "Bruder: Robert William Ulrich?" Von diesem hatte sie bis dahin nichts gewusst. Bis heute ist Mjka nur auf ein paar Spuren gestoßen, die sich in den USA verlieren: Der am 20. 12. 1946 im bayrischen Amberg geborene Bub wurde am 24. 12. 1953 von Mr. und Mrs. George Adams in Baltimore, USA, adoptiert. Mjka hofft, vielleicht durch das Projekt noch mehr über ihn zu erfahren.

Auch eine andere Triebkraft hat die Liesingerin dazu veranlasst, die gefühlsaufreibende Reise in die Vergangenheit anzutreten. "Mir kommt es so vor, dass Menschen, die äußerlich anders sind, heute wieder mehr angeprangert werden", sagt Mjka. Auch ihr passiere das immer wieder, unlängst habe sich ein Taxifahrer geweigert, sie mitzunehmen. "Ich kann mich wehren, aber andere nicht so gut", sagt Mjka.

30 Jahre politisch engagiert

Seit rund 30 Jahren engagiert sie sich bei der SPÖ, sie ist Bezirksrätin, hat in der Parteischule Politik und Geschichte gebüffelt, derzeit liest sie Kreiskys Reden. Woher sie den Wissensdrang hat, fragt sich Mjka manchmal. Das Selbstbewusstsein von heute habe sie jedenfalls durch Bildung erlangt. "Ich mische mich überall ein", sagt sie. Angepasst war sie lang genug. (Gudrun Springer, DER STANDARD, 27./28.7.2013)