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Verlegung einer Gaspipeline in Tschechien: An manchen Stellen in Europa gibt es noch Engpässe.

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Wien - "Wie nach einer Explosion, bei der kein Stein auf dem anderen bleibt." So beschreiben Experten die Situation auf den internationalen Gasmärkten, wenn man sie um eine Einschätzung der näheren Zukunft bittet. Geht alles nach Plan, sollten über kurz oder lang die Konsumenten in Form günstigerer Gaspreise profitieren.

"Wir müssen es schaffen, die Gasproduzenten in einen Wettbewerb zu zwingen", sagte der Chef der Regulierungsbehörde E-Control, Walter Boltz, dem Standard. "Heute ist das nicht oder nur marginal der Fall."

Boltz, der als stellvertretender Vorsitzender des Regulierungsrates der EU-Agentur ACER auch auf europäischer Ebene für entsprechenden Druck sorgt, verweist auf Studien, wonach ein einheitlicher Markt mit ausgewogenen Preisen in Europa Einsparungen von rund 30 Milliarden Euro pro Jahr brächte. In Osteuropa, bis vor kurzem auch noch in Italien, war Gas deutlich teurer als anderswo in Europa.

Ölpreisbindung ade

"Das Geld lassen wir liegen, weil wir Lieferanten gestatten, die Märkte aufzuteilen. Algerisches Gas steht nicht in Wettbewerb mit norwegischem. Es kommt zwar nach Italien, bleibt aber im Wesentlichen dort. Die Norweger brauchen keine Angst haben, dass ihr Marktanteil bröckelt", sagte Boltz. Zusatz: "Noch." Denn dass sich die Gaswelt in Riesenschritten verändert, haben auch die Produzentenländer längst erkannt. Die Reaktion ist unterschiedlich.

Das betrifft etwa die Ölpreisbindung. Lange war Erdgas lediglich ein Abfallprodukt, die ungeliebte Schwester von Rohöl. In Ermangelung eines Marktpreises für Gas wählte man eine Formel, in der das Rohöl die zentrale Rolle spielte. Den genauen Einkaufspreis und die exakten Parameter der Formel halten alle Gasversorger unter Verschluss.

Die Norweger haben als Erste erkannt, dass die Ölpreisbindung wegen des Auseinanderklaffens der Märkte auf Dauer nicht zu halten sein wird. Ein Großteil der Lieferverträge ist denn auch adaptiert worden; sie tragen nun dem Umstand Rechnung, dass anders als früher nun abseits von teurem Pipelinegas auch große Mengen kurzfristig verfügbaren Billiggases in Europa vorhanden sind.

Firmen brauchen billigeres Gas

Boltz schätzt, dass bereits 40 Prozent der Gasimporte nach Europa ohne langfristige Ölpreisbindung erfolgen. Vorausgegangen waren massive Interventionen von Eon Ruhrgas, RWE und anderen Gasimporteuren, darunter OMV. Vor ein paar Jahren waren noch 96 Prozent der Gasimporte ölpreisindexiert. "In fünf Jahren haben wir vielleicht noch 25 Prozent Langfristverträge auf Ölpreisbasis", schätzt Boltz. Erst 2006 haben österreichische Gesellschaften ihre Gasbezugsverträge mit Russland bis 2027 verlängert. Das Vertragsvolumen beläuft sich auf sieben Mrd. m3 pro Jahr. "Damals hat man das noch als Erfolg gefeiert, heute würde sich niemand mehr damit brüsten", sagte Boltz.

Die kommenden Jahre seien entscheidend - für Europas Industrie genauso wie für Gasprom. Ohne Preisnachlässe würden Konzerne, die viel Gas benötigten, sukzessive aus Europa vertrieben.

Haushalte und Gewerbe könnten versucht sein, von Gas auf Biomasse oder Wärmepumpen umzusteigen. Diese Entwicklung sei auch für Russland relevant.

Russen vernachlässigten Zukunft

"Gasprom kann sich vielleicht beglückwünschen, dem Druck widerstanden und den Preis für Gas hochgehalten zu haben; sie werden am Ende des Tages aber deutlich weniger Abnehmer haben", sagte Boltz. Deshalb rechnet der Energie-Regulator über kurz oder lang auch mit einem Einlenken der Russen.

Mehr Wettbewerb soll auch die Gaspreise in Österreich drücken. Drei bis vier neue Anbieter würde der Markt noch vertragen. Seit Jahresbeginn gibt es Erleichterungen im Gashandel. Folge: Die Preise zwischen Deutschland und Österreich haben sich angenähert. (Günther Strobl, DER STANDARD, 26.7.2013)