Kommt am Morgen schwer in die Gänge: Toni Servillo in Paolo Sorrentinos "La grande bellezza".

Foto: Filmladen

Wien - Rom ist sicher nicht die schlechteste Stadt für ein Vorhaben, das man als "das perfekte Leben" bezeichnen könnte. Zumal, wenn jemand eine Wohnung mit Terrassenblick auf das Kolosseum hat, wie dies bei dem Journalisten Jap Gambardella (Toni Servillo) der Fall ist. Er kommt zwar morgens schwer in die Gänge, aber das hat damit zu tun, dass er abends oft lange in feiner Gesellschaft ist. Jap hat vor vielen Jahren einmal einen Roman geschrieben, von dessen Ruhm zehrt er seither. Die Tatsache, dass er danach nur noch gelegentlich ein großes Interview mit einer wichtigen Persönlichkeit veröffentlicht hat, macht ihn erst recht interessant.

Jap könnte es sich gutgehen lassen, denn er hat genau jene Distanz zur Welt, die ihm die Schönheit erst so richtig bewusst macht. Doch Jap hadert - mit sich, mit den Menschen, mit allem. Er ist ein Jedermann, dem niemand ins Gewissen reden muss, das tut er selber hartnäckig genug. Früher hätte man in so einem Fall von "transzendentaler Obdachlosigkeit" gesprochen, die Paolo Sorrentino in seinem zweieinhalbstündigen Film La grande bellezza effektvoll in Szene setzt. Die große Schönheit zeigt sich wie so oft in vielerlei Gestalt, sie sitzt im Detail, im Stoff der Sakkos, die Gambardella trägt, im Geschmack der Minestrone, die ihm seine unerschrockene Verlegerin serviert, im Himmel über Rom und in der Begegnung mit einer Frau

Doch sehen wir auch einen Helden, der seinem Missmut freien Lauf lässt, der bei einer Tischgesellschaft eine vermeintliche Freundin bloßstellt, der einer überschätzten Künstlerin die Meinung sagt und der schließlich von einem Kardinal, dem er eine große Frage stellt, einfach stehengelassen wird. In vielen dieser Momente ist La grande bellezza in erster Linie Satire, ein Film in der Tradition der Bloßstellung der romanischen Bourgeoisie, irgendwo zwischen Buñuel und Fellini. Doch will Sorrentino, der international mit seiner abgründigen Politcollage Il Divo (über das System Giulio Andreotti) bekannt wurde, auf mehr hinaus.

Zweischneidige Realität

Es geht ihm um eine Reflexion auf die Zweischneidigkeit der Wirklichkeit insgesamt, und sein schwacher Held Jap ist dabei das Empfindungsorgan, das dem Film zu einer großen Recherche dient. Diese führt zurück zu einem ursprünglichen Moment, eine Szene eines Sommers irgendwo am Meer, als Jap noch jung war. Ein Moment, in dem etwas verlorengeht, was vielleicht nie zu finden war. Doch geht es nicht darum, einen archimedischen Glückspunkt zu finden, von dem aus man sich mit dem Altern, Verlusten, der Eitelkeit abfinden könnte.

Sorrentino sucht in alle Richtungen nach der großen Schönheit, bleibt dabei aber mit seiner Hauptfigur so weit solidarisch, dass er Japs Verdruss (man könnte von "La Noia" sprechen, im Anklang an Alberto Moravias berühmten Roman) ernst nimmt. Der Film gerät dadurch in einen Zwiespalt, der ihm zum Vorteil gereicht: Von woher will man denn das falsche Leben kritisieren, wenn nicht aus einer Position der tiefen Verfallenheit daran?

Das verkörpert Jap Gambardella, und erst ganz zum Schluss, da ist der Film schon vorbei, findet La grande bellezza auf eine andere Ebene. Doch die spätnächtliche Flussfahrt auf dem Tiber, durch das gleichsam ewige Rom, ist zwar von erhabener Schönheit, aber auch irgendwie ein Trick. Die Schönheit des Lebens ist trivialer, und darauf lässt La grande bellezza sich ein.  (Bert Rebhandl, DER STANDARD, 25.7.2013)