"Marca Registrada" (1975) heißt die Performance der brasilianischen Künstlerin Letícia Parente, in der sie sich "Made in Brazil" in ihre Fußsohlen nähte.

Foto: Projeto Leticia Parente Collection

Raeda Saadehs Arbeit "Vacuum" (2007): Die in Palästina geborene Künstlerin saugt darin die kahlen Berge ihrer Heimat ab.

 

Foto: Raeda Saadeh

Ebenfalls dabei: Jakob Lena Knebl mit ihrer Arbeit "Fettecke" (2011).

Foto: Jakob Lena Knebl

Es ist eine etwas andere Videothek: Große, aufstellte Holzkisten, die an Reisekoffer aus Übersee erinnern, stehen in den Ausstellungsräumen der Berliner Akademie der Künste, darin sind Monitore installiert. Wer will, kann sich Filme ausleihen und in die Videorecorder schieben. Es sind dann auch vorwiegend Frauen, die dies tun und sich in geballter Form auf Aktionskunst einlassen. "Re.act.feminism #2 – a performing archive" ist ein mehrjähriges Ausstellungsprojekt, das seit 2011 durch Europa tourt und nun in erweiterter, abschließender Form in Berlin präsentiert wird. Denn auf jeder Station kamen weitere Projekte hinzu, sodass sich mehr als 250 feministische, genderkritische und queere Arbeiten angesammelt haben.

Übertragene Schmerzen

Manches schmerzt beim Zuschauen, wenn sich etwa Marina Abramovic in den Bauch ritzt und blutend auf einen Eisblock legt. Die Österreicherin Valie Export wälzte sich in Scherben. Wer ihr inzwischen legendäres "Tapp- und Tastkino" anschaut, begibt sich gleichzeitig auf eine Zeitreise: 1968 schnallte sich die Künstlerin einen Karton um die Brust und begab sich auf eine Straße in München. Der Videofilm zeigt, dass nur männliche Passanten der prokanten Aufforderung nachkamen, ihre Brüste zu berühren.

"Cut Piece" aus dem Jahr 1964 ist ebenfalls in der Sammlung, jene frühe Performance-Kunst von Yoko Ono, die dem Publikum erlaubte, mit einer Schere Stücke aus ihrer Kleidung herauszuschneiden. Unter Gelächter wurden auch die Träger ihres BHs durchtrennt.

"Neue Bedeutungen" durch Kunst

Diese frühen Aktionen legen offen, wie der weibliche Körper enteignet und objektiviert wurde. Viele der Arbeiten spiegeln die politischen Fragen der zweiten Frauenbewegung in den 1960er und 1970er wider: illegale Schwangerschaftsabbrüche, die Doppelbelastung Familie und Beruf, männliche Bevormundung, Gewalt in der Partnerschaft und die Unterdrückung weiblicher Sexualität. 1972 schrieb Export in ihrem Manifest: "Die Kunst kann für die Frauenbewegung von Bedeutung sein, indem wir aus der Kunst neue Bedeutungen – unsere Bedeutungen – schlagen: Dieser Funke kann den Prozess unserer Selbstbestimmung entzünden."

Die feministischen Performances jener Zeit haben eine neue Ära der sexuellen Selbstbestimmung unter weißen Frauen begründet. Dass sich in den vergangenen Jahren neue Problem- und damit Themenfelder aufgetan haben, wird an den jüngeren Arbeiten sichtbar: Kritik am Geschlechterbiologismus kommt darin ebenso vor wie die Arbeitsverhältnisse in Zeiten der Globalisierung. Aufgenommen worden ins Archiv ist auch der Film-Mitschnitt der Rockband "Pussy Riot" aus dem Jahr 2012, der die Mitglieder der Band bei einer Musik-Performance in einer russisch-orthodoxen Kirche zeigt. Die Musikerinnen protestierten damit gegen die autoritäre Politik von Präsident Wladimir Putin und wurden bekanntlich dafür zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilt.

Globale Perspektive

Das Interessante an dieser Ausstellung ist, dass sich die Arbeiten nicht auf Westeuropa und die USA beschränken sondern viele Projekte aus Osteuropa und Lateinamerika eingebunden sind, sodass sich die Perspektive erweitert. In der Sammlung findet sich etwa die Arbeit der 1991 verstorbenen Brasilianerin Leticia Parente, die sich die Worte "Made in Brazil" in die Fußsohlen nähte und sich Spritzen gegen Rassismus und kulturellen Kolonialismus initiierte.

In dieser Stärke liegt aber auch eine Schwäche: Als Besucherin fühlt man sich ziemlich allein gelassen ohne Einordnung, verloren in der Vielfalt an Filmen, nicht einmal mit einer chronologischen Liste ausgestattet. Die notwendige Einbettung und Auseinandersetzung wurde einem üppigen Begleitprogramm überlassen, mit Vorträgen, Diskussionen und gemeinsamem Filmsichten. Die Kuratorinnen Bettina Knaup und Beatrice Stammer wollen mit der breit angelegten Schau "einen transkulturellen und generationenübergreifenden Dialog initiieren". 

Kein Stopp in Österreich

Schade, dass dieses Archiv nach Stationen in Spanien, Kroatien, Polen, Estland, Dänemark und nun zum Abschluss Deutschland nicht in Österreich gezeigt worden ist, zumal sich neben Export noch Arbeiten zahlreicher anderer österreichischer Künstlerinnen wie Carola Dertnig, Katrina Daschner, Jakob Lena Knebl, Stefanie Seibold und Renate Bertlmann darin befinden. Zudem hat die Erste Stiftung das Projekt finanziell unterstützt. Ende des Jahres wird ein Katalog zur Ausstellung erscheinen. Die Homepage des Projektes ist als Forschungstool konzipiert. Darauf werden alle involvierten Künstlerinnen und ihre Arbeitsschwerpunkte vorgestellt und auch weiterhin bestehen bleiben. (Alexandra Föderl-Schmid, dieStandard.at, 1.8.2013)