Die EU will eine europaweite, umfassende Bankenaufsicht und hat sich nunmehr auf einheitliche Regeln für den Fall, dass Banken trotzdem in ernste Probleme geraten, geeinigt. Erst haftet das Eigenkapital, dann die Gläubiger. Offen wird gesagt, dass nunmehr trotz aller Sicherungssysteme auch die Einleger haften sollen, aber erst bei Größenordnungen über 100.000 Euro. Bei systemrelevanten Banken sollen Mittel aus einem gemeinsamen Haftungsfonds beigesteuert werden.

Diese Lösung wurde aus der verständlichen Sorge heraus geboren, dass nicht noch einmal Staaten ungeheure Beträge für Banken zahlen müssen. In die bisherige Einbahnstraße von der Zahlungsunfähigkeit einer Bank zur Rettung durch den Staat ist ein Notausgang eingebaut. Und dass der Streit darüber, wer da aller haften soll und in welchem Umfang, ist ja nichts wirklich Neues auf der europäischen Bühne, wenn alle außer Deutschland wollen, dass die Deutschen im Ernstfall am meisten zahlen.

Zur Beurteilung dieser Lösung kann man auf Grillparzer zurückgreifen: Mit halben Mitteln und zu halber Tat auf halben Wegen zögerlich geschritten. Für Europas wirtschaftliche Zukunft sind freilich nicht Notlösungen, sondern Visionen nötig. Davon kann derzeit nicht die Rede sein. Die gefundene Lösung widerspricht einer elementaren praktischen Notwendigkeit und zwei grundsätzlichen theoretischen Überlegungen.

Der praktischen Notwendigkeit hat in den USA der Glass-Steagall-Act Rechnung getragen: Die mit diesem Gesetz vorgenommene Trennung von Geschäftsbanken und Investmentbanken sollte traditionelle Geschäftsbanken vor zu hohen Risken aus Geschäften bewahren, die nicht notwendig zum traditionellen Einlagen- und Kreditgeschäft gehören und die Übernahme solcher Risiken auf dafür spezialisierte Banken, eben Investmentbanken, beschränken. Nachdem bei Letzteren die Gläubiger wissen mussten, worauf sie sich einlassen, brauchte man für sie auch keinen umfassenden Einlegerschutz. Nach der Aufhebung dieses Gesetzes im Jahr 1999 hat es keine zehn Jahre gedauert, bis die Bankenkrise ausgebrochen ist.

Eine solche Trennung ist auch in Europa vorgeschlagen worden. Im Deutschen Bundestag sind erste Schritte in diese Richtung diskutiert worden, in der europäischen Einigung ist davon nichts zu finden. Man darf raten, wessen Lobby sich da durchgesetzt hat.

Ein Rückblick: Die Geschäftsbanken sind in das Investmentbanking nicht aus Gier nach höheren Boni für die Vorstände eingestiegen, sondern (zumindest auch) aus einem ganz anderen Grund: Banken, auch konventionelle Geschäftsbanken, brauchen Rücklagen für den Krisenfall. Beim üblichen konjunkturellen Auf und Ab sind Häufungen von Kreditausfällen unausweichlich. Wettbewerb bedeutet, wie man seit Schumpeter weiß, auch schöpferische Zerstörung. Deren Kosten tragen immer auch die Kreditgeber mit. Und freier Wettbewerb auf homogenen Märkten bedeutet auch, dass die Grenzkosten irgendwann den Grenzertrag erreichen, oder andersherum, dass keiner mehr Gewinne macht.

Keine Gewinne

Die historische Differenzierung des Kreditgewerbes nach Banken mit unterschiedlichen Schwerpunkten des Geschäftes, Sparkassen und Genossenschaften mit jeweils überschaubaren Tätigkeitsbereichen hat durchaus Sinn gemacht. Die Einebnung der Unterschiede und das Zulassen unbeschränkten Wettbewerbs hat in der Praxis nur gebracht, was die Theorie befürchtet hat: Aus dem laufenden Geschäft gibt es bei vollständiger Konkurrenz keine Gewinne.

Das Investmentbankgeschäft schien eine Möglichkeit zu sein, diesem Dilemma auszuweichen. Es hat Gewinne versprochen, wie sie im traditionellen Geschäft im Wettbewerb nicht mehr zu erzielen waren. Was daraus geworden ist, wissen wir alle.

Banken gehören ordentlich beaufsichtigt. Aber es ist vom Ansatz her falsch, sie einerseits bis ins letzte Detail hinein zu überwachen und andererseits vor dem eigentlichen Problem, dem der strukturellen Gewinnerosion bei uneingeschränktem Wettbewerb, die Augen zu verschließen. Banken sollen dienen, nicht verdienen, hat der Ökonom Wicksell einmal klug beobachtet. Aber dienen können sie nur, wenn sie auch genug für die Bildung von Reserven verdienen, und dazu tragen noch so umfangreiche Beaufsichtigungsbürokratien nichts bei - im Gegenteil.

Das zweite grundsätzliche theoretische Problem ist erst seit einigen Jahren durch die Arbeiten des Ökonomen Richard Koo thematisiert worden. Er hat, beginnend in Japan, Rezessionen der vergangenen Jahre analysiert und ist dabei auf eine auffallende Regelmäßigkeit gestoßen: In einer schweren Krise sparen nicht nur die Haushalte, sondern auch die Unternehmen. Und sie tun das vor allem dann, wenn sie fürchten, auf den Geld- und Kapitalmarkt ihren Investitionsbedarf nicht mehr finanzieren zu können. Koo hat für dieses Phänomen den Begriff der "Bilanzrezession" geprägt.

An praktischen Beispielen mangelt es nicht. In Japan bauten die Unternehmen ihre Verschuldung in den Jahren 1991 bis 2004 ab, und nur die in diesem Zeitraum stark zunehmende Staatsverschuldung hat damals eine tiefe Rezession verhindert. In Spanien fahren die Unternehmen seit 2007 ihre eigene Verschuldung so drastisch zurück, dass selbst die sprunghaft steigende Staatsverschuldung nicht mehr vor der tiefen Krise bewahren konnte.

Das theoretische Konzept der Bilanzrezession ist nicht unwidersprochen geblieben. Die Gegner sind vor allem im Lager der Geldmengentheoretiker zu finden, die immer noch meinen, eine expansive Geldpolitik könne aus einer Rezession helfen. Dazu hat bereits Keynes eine klare Meinung gehabt: Mit einem Strick könne man zwar ganz gut ziehen, aber nicht schieben. Es ist zu bewundern, dass es immer noch Geldmengentheoretiker gibt, die schieben wollen, trotz aller praktischen Erfahrungen.

Genau in eine solche Bilanzrezession werden wir durch die Politik hineingetrieben. Der Kern der unter dem Stichwort Basel III verfolgten Politik besteht darin, die Banken zu höherem Eigenkapital zu zwingen und vor allem die Übernahme von Kreditrisiken an höhere Eigenkapitalsätze zu binden. Die Unternehmen reagieren darauf nur rational: Sie reduzieren nach Kräften ihre Abhängigkeit von den Kredit- und Kapitalmärkten. Das ist genau das, was zu einer Bilanzrezession führt.

Dass die Hoffnungen auf ein baldiges Ende der Krise trügen, wird bei jeder neuen der häufigen Prognosekorrekturen nach unten immer deutlicher. Umso dringlicher wäre eine Debatte über die künftige Rolle der Banken, die ökonomische Gegebenheiten stärker berücksichtigt, statt sich auf eine bloße Reaktion auf vergangene Probleme zu beschränken. (Manfred Drennig, DER STANDARD, 24.7.2013)