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Festakt in Beida zum neu beschlossenen Wahlgesetz.

Foto: Reuters/Stringer

Beida, genauer gesagt Zawiya al-Bayda (oft übersetzt "Das weiße Kloster"), soll die Wiege der neuen libyschen Verfassung werden. Die zweitgrößte Stadt der östlichen Provinz Cyrenaika, viertgrößte in Libyen, war nach Erlangung der Unabhängigkeit und Errichtung der Monarchie 1951 als Hauptstadt vorgesehen. Aus dieser Zeit gibt es ein Parlamentsgebäude, das die noch zu wählende Verfassungsgebende Versammlung beherbergen soll.

Das Wahlgesetz wurde vergangene Woche verabschiedet, am Montag fand in Beida ein Festakt statt. Libyen, dessen politischer Prozess so wie der in Ägypten und Tunesien aufgesetzt ist - Wahlen zum Interimsparlament, Schreiben einer Verfassung, Referendum, Wahlen zum ersten verfassungsmäßigen Parlament -, hinkt hinter dem selbst verordneten Zeitplan her. Dafür ist er aber auch noch nicht völlig entgleist wie in Ägypten.

Verfassung in 120 Tagen schreiben

Die Geschichte Beidas reicht in die Antike zurück - der Name Zawiya al-Bayda ist jedoch verbunden mit der Sanussiya, jener religiösen Bewegung, die im 19. Jahrhundert ihre religiösen Schulen (Zawiya ist eine Koranschule/Internat, Lebensraum einer religiösen Gemeinschaft, etwa wie Madrasa) und Garnisonen von der Cyrenaika ausgehend in der Region errichteten, was letztlich im Königreich Libyen mündete. Mit der Wahl von Beida als Verfassungsstadt wollte man wohl zweierlei erreichen: die Verfassungsgebung aus den politischen - und faktischen - Kämpfen in Tripolis heraushalten, und die Sezessionisten der Cyrenaika beruhigen.

Geschichtsträchtig ist auch die Form der Verfassungsgebenden Versammlung selbst: Ihr Aufbau gleicht jener, welche die Verfassung von 1951 schrieb, je 20 Repräsentanten der drei großen libyschen Provinzen Tripolitania, Cyrenaika und Fezzan. Sie werden direkt gewählt, in Einer-Wahlkreisen. Wahltermin gibt es noch keinen. Wenn die Versammlung einmal steht, soll sie innerhalb von 120 Tagen eine Verfassung schreiben, die dann den Libyern und Libyerinnen zur Abstimmung vorgelegt wird. Wenn man daran denkt, wie lange Tunesien schon um einen Verfassungstext ringt und wie schief der verfassungsgebende Prozess in Ägypten gegangen ist: ein ehrgeiziger Plan.

Frauen sind unterrepräsentiert

Noch dazu sind bei weitem nicht alle zufrieden: Die Frauen sind mit sechs Sitzen eklatant unterrepräsentiert, sie hatten 15, also 25 Prozent, verlangt. Das wurde von den Islamisten verhindert. Wie man in Einer-Wahlkreisen erreichen will, dass Frauen überhaupt gewählt werden, ist noch unklar: Bei gemischten Kandidaten wird wohl keine durchkommen, und wer entscheidet, welcher männliche Kandidat welchen Wahlkreises dann zugunsten einer Frau verzichten wird? Oder wird es Wahlkreise geben, in denen nur Frauen antreten, welche werden das sein, und wie kriegt man dann die Männer in die Abstimmungslokale dieses Wahlkreises? 

Sehr unzufrieden sind auch die drei großen Minderheiten Amazigh, Tuareg und Tebu. Auch sie haben gemeinsam nur sechs Sitze, also zwei für jede Gruppe. Die Minderheiten drohen nun einen Boykott der Wahlen an, sie wollen zumindest erreichen, dass sie ein Vetorecht für Entscheidungen bekommen, die ihre eigenen Gemeinschaften betreffen.

Die großen Fragen sind klar: Da ist einmal das Verhältnis zwischen Staat und Religion, wobei die Meinung, dass die Scharia die Grundlage des Rechtssystems sein soll, wohl eine klare Mehrheit hat. Es gibt nur graduelle Unterschiede. Auch bei der Zeremonie am Montag in Beida wurde von den Sprechern die Korantreue beschworen. Der "Libya Herald" berichtet von der NGO-Initiative "Nibi fi Disturi" (Was ich in meiner Verfassung haben will), die über eine Periode von drei Monaten mit etwa 1500 Libyern und Libyerinnen in allen Landesteilen diskutiert hat. Das Diktum, dass die individuellen Freiheiten der Einschränkung von Religion, Tradition und Kultur unterliegen, stößt auf allgemeine Akzeptanz.

Föderalismus oder Autonomie

Zweitens müsste eine Verfassung die Zentrifugalkräfte, die sich 2011 in Bewegung gesetzt haben, einfangen: In der unter der Gaddafi-Herrschaft entfremdeten Cyrenaika wünschen sich viele einen sehr starken Föderalismus, am besten eine Autonomie. In einem Eintrag im "Transitions"-Blog von "Foreign Policy" schreibt Mohamed Eljarh, dass die "Föderalisten" verlangen, dass das Verfassungsreferendum in den drei Regionen separat stattfindet und auch separat gewertet wird, wenn es unterschiedlich ausfällt. Dabei darf nicht vergessen werden, dass Tripolis den bevölkerungsärmeren Provinzen bereits ein klares Zugeständnis gemacht hat, indem sie in der Versammlung genauso stark vertreten sind.

Das Parlament (General National Congress, GNC) hat gelobt, sich nicht einzumischen, hat jedoch das Recht, gegen Entscheidungen der Kommission Einspruch zu erheben. Und man weiß, wie die diversen libyschen Gruppen dem GNC ihre Meinung aufzuzwingen pflegen: manchmal mit nackter Waffengewalt, so wie etwa beim "Isolationsgesetz", das Menschen, die dem Gaddafi-Staat irgendwann einmal auch in harmlosen Positionen gedient haben, vom öffentlichen Leben ausschließt - und die politische Wüste Libyen weiterer menschlicher Ressourcen beraubt. Aber man darf ja nicht immer pessimistisch sein: Immerhin ist Libyen jetzt konkret auf dem Weg zu einer Verfassung. (Gudrun Harrer, derStandard.at, 23.7.2013)