Neben der jüngeren Generation - Sofia Jernberg, Christof Kurzmann, Hilary Jeffery - riefen sich zu Recht auch die Gründerväter in Erinnerung.

Nickelsdorf - Auch wenn noch immer "Avantgarde!" gerufen wird, sobald irgendwo ein schiefer Ton zu vernehmen ist: Der Free Jazz, der in den 1960ern die Vorstellungen von Form, Melodik, Harmonik und Rhythmus revolutionierte, ist ein halbes Jahrhundert später längst Teil jener Geschichte geworden, mit der er einst brach. Ein sperriger, noch immer nicht Mainstream-fähiger Teil indessen. Und ein Feld, aus dem weiterhin Impulse für Freigeister kommen, für die die Improvisation tatsächlich eine Begegnung mit dem Unkalkulierbaren darstellt.

Die 34. Nickelsdorfer Konfrontationen demonstrierten am Wochenende höchst anschaulich, wie vielstimmig die Polyphonie jener Ästhetiken und Konzepte tönt, die im historischen Substrat der 1960er-Jahre wurzelt. Da war das Gedenkkonzert für den kürzlich verstorbenen Butch Morris, den Pionier der "Conductions", der dirigierten Orchesterimprovisation. J. A. Deane choreografierte mit dem von Morris erdachten Handzeichen-Vokabular, das die spontane Strukturierung von Besetzung, Interaktion, Lautstärke u. a. ermöglicht, weite, kontrastreiche Bögen, die in dieser Form nicht komponierbar sind.

Auch Saxofonist Mats Gustafsson war dirigierend zu vernehmen: Er koordinierte die Bläsereinsätze seines Fire! Ensemble, setzte dabei freilich auch auf vorab fixierte, wuchtige Groove-Patterns und textgebundene Vokaleinlagen von Mariam Wallentin und Sofia Jernberg - auch deshalb erreichte diese Performance nicht die Vielschichtigkeit des Morris-Memorials.

Sofia Jernberg bildete in der Festival-Dependance am Kleylehof mit Christof Kurzmann zudem jenes Duo, das Improviation und Soundelektronik mit Songformen kurzschloss. Es war berührend zu hören, wie die beiden nach irrlichternden Niemandslandexkursen am Ende zu schlichtem, fragilem Unisono-Gesang zurückfanden. Andere Schlüsse aus der verebbten Elektronik-Hausse der 1990er zog hingegen das Quintett LYSN um Hilary Jeffery und Patrick Pulsinger. In Wellenbewegungen entwickelten sie organische Soundscapes, ausgehend von verhallten, statischen Ambient-Sounds, endend jeweils in hochtourig pulsierenden Klangkraftwerken.

Einen produktiven Clash of Cultures bedeutete das Debüt von Franz Hautzingers Quartett mit John Tilbury, Rozemarie Heggen und Hamid Drake: Während Hautzingers Trompete so melodiös wie lange nicht tönte, phasenweise an Chet Baker denken ließ, agierte Drake am Schlagzeug in Verhaltenheit. Der 77-jährige Tilbury unterlegte die sich vorsichtig verdichtenden Soundgefüge mit sparsamen Klavierakkorden, als wäre er in eine andere Welt entrückt. Höhepunkt!

Und natürlich waren da auch die Repräsentanten der Gründergeneration des europäischen Jazz: Das seit 43 Jahren in unveränderter Besetzung musizierende Trio von Alexander von Schlippenbach, Evan Parker und Paul Lovens zelebrierte in der Intensität und Sensibilität seines Zusammenspiels einmal mehr brillante empathische Fähigkeiten. (Andreas Felber, DER STANDARD, 23.7.2013)