Keine Bestandsprognose für alle Styria-Titel: Bretschko.

Foto: STANDARD/Robert Newald

Am 18. Juli verabschiedete sich Wolfgang Bretschko offiziell vom Aufsichtsrat der Styria - er verlässt den Vorstand des Grazer Medienhauses, eineinhalb Jahre vor Ablauf seines Vertrags als Vorstandssprecher, zuständig für die "Kleine Zeitung", für den Gratiszeitungsring RMA und für die Digitalaktivitäten des Konzerns. In derselben Sitzung stimmte der Aufsichtsrat nach STANDARD-Infos zwei digitalen Investments der Styria zu. Welche Projekte aus seinem Bereich das waren, verrät Bretschko nicht. Styria-Digitalchef Peter Neumann nannte zuletzt Pläne für zwei Portale - "gesund.at" und "gutgemacht.at".

Digitales Wachstum, digitale Perspektiven - in diesem großen strategischen Bild dürften Bretschko und seine Aufsichtsräte einig gewesen sein. Wo aber gab es Auffassungsunterschiede, Unzufriedenheit, die womöglich zum vorzeitigen Abgang geführt haben? Bretschko betont auch im STANDARD-Interview, er habe für sich entschieden, es sei Zeit, etwas Neues zu machen, und das schon Ende 2012. Dass er mit seinen Vorstandskollegen das Jahr 2012 zu ambitioniert budgetierte und das Budget verfehlte, das sei nicht der Grund für sein Gehen.

Aufsichtsratschef Friedrich Santner hob 2012 im STANDARD-Interview: Jedes der Styria-Unternehmen müsse für sich genommen positiv wirtschaften. Kann das nun jedes der Unternehmen im Styria-Verbund schaffen? Vor seinem Abgang will sich Bretschko dazu nicht mehr äußern, vielleicht ja auch nur aus Respekt vor seinem Nachfolger oder seiner Nachfolgerin. Bei Dienstantritt 2010 sagte Bretschko im gemeinsamen STANDARD-Interview mit Vorstandskollegen Klaus Schweighofer: "Jedes Unternehmen der Gruppe muss einen positiven Wertbeitrag zur Gruppe leisten. Wir wollen uns kein Unternehmen leisten, das über Jahre hinweg keinen positiven Beitrag leistet. Es ist klar, dass in Gruppen wie unserer immer Unternehmen geben wird, die gerade in einer Restrukturierungsphase, einer Startup-Phase oder einer Investitionsphase sind. Aber auf Dauer muss jeder für sich selbst lebensfähig sein."

STANDARD: Ihr Vertrag als Vorstand der Styria wäre noch bis Ende 2014 gelaufen. Warum gehen Sie vorzeitig mit Ende September 2013?

Bretschko: Ich habe mit dem Aufsichtsrat Ende 2012 einige Gespräche über die Zukunft geführt und dann vorgeschlagen, meinen Vertrag vorzeitig zu beenden. Ich habe nach 21 Jahren in der Styria den Eindruck gewonnen: Es ist an der Zeit, etwas Neues zu tun. Ich bin jetzt 45 und hatte nie vor, 20 Jahre in der Styria zu bleiben. Insofern passt das jetzt so für alle Seiten ganz gut.

STANDARD: Bedeuten diese Gespräche Auffassungsunterschiede über die Ausrichtung der Styria?

Bretschko: Ich habe für mich entschieden: Es ist Zeit, etwas Neues zu machen. Wir sind übereingekommen, ich kann gehen, sobald es einen neuen Vorstandsvorsitzenden oder eine neue Vorsitzende gibt.

STANDARD: In der Styria-Aussendung stand der neue Vorsitzende?

Bretschko: Das ist, glaube ich, geschlechtsneutral zu verstehen.

STANDARD: Sie wissen wohl, wer der oder die Neue ist – verraten Sie's?

Bretschko: Ich weiß es nicht. Das ist auch Aufgabe des Aufsichtsrates und nicht des Vorstands.

STANDARD: Sie wollen etwas Neues machen. Wissen Sie schon, was?

Bretschko: Zunächst einmal eine kleine Pause. Bis Jahresende werde ich die Sensoren öffnen – und dann sehen, welche Möglichkeiten es gibt.

STANDARD: Denken Sie da an den Medienbereich – oder machen Sie jetzt ein Wirtshaus auf?

Bretschko: (lacht) Grundsätzlich bin ich offen für alles. Ich habe Jus und Betriebswirtschaft studiert, ohne das lange zu planen. Ich bin zufällig in die Medienbranche gekommen, habe auch das nie geplant – so möchte ich das auch in Zukunft halten. Ich bin da sehr offen und sehr flexibel.

STANDARD: Die Medienbranche gilt schon als etwas besonderes – mit ihrer Aufgabe für Demokratie und Gesellschaft, auch mit ihrem öffentlichen Gewicht. Nicht für Sie?

Bretschko: Ich bin zwar zufällig in die Branche gekommen – aber die Medien sind rasch zu einer Herzensangelegenheit geworden. Aber ich habe in diesen 21 Jahren auch gelernt, dass weniger mediennahe Bereiche auch sehr spannend sind: Als ich 2004 in den Styria-Vorstand kam, war ich zuständig für Dienstleistungsunternehmen, Druckereien, Logistik.

STANDARD: Klingt nach Optionen etwa bis in den Handel?

Bretschko: Es gibt viele Optionen. Ich habe klassische Medien gemacht, lange die "Kleine Zeitung" geführt; dann Dienstleistungen etwa auch in Zusammenarbeit mit der holländischen Post; schließlich das Digitalgeschäft.

STANDARD: Wenn Sie auf ihre 21 Jahre Styria zurückblicken: Was lief denn besonders gut? Was ist nicht gelungen?

Bretschko: Ein Highlight waren sicher meine sechs Jahre als Geschäftsführer der "Kleinen Zeitung". Sie lag bis dahin österreichweit hinter dem "Kurier" auf Rang drei der reichweitenstärksten Tageszeitungen – und liegt seither konstant auf Platz zwei. Wir konnten Auflage, Reichweite und Ergebnis steigern. Das waren sehr schöne Zeiten. Die Zeit im Vorstand möchte ich auch nicht missen – da habe ich wieder ganz andere Facetten des Mediengeschäftes kennengelernt. Auch der Aufbau von willhaben.at gemeinsam mit Schibsted zählt zu meinen Highlights. Das ist heute ein super Unternehmen mit zweistelliger Umsatzrendite, liegt toll im Markt. Parallel haben wir in Kroatien "Njuskalo" nach demselben Modell entwickelt – dort haben wir 21 Prozent Rendite beim Ergebnis vor Steuern, Abschreibungen und Zinsen. Das ist eines der bestperformenden Unternehmen in der Gruppe. Die letzten drei Jahren waren auch spannend: Wir haben an einer Vision für die Styria gearbeitet, das Kerngeschäft restrukturiert und massiv ins digitale Geschäft investiert.

STANDARD: Es wird aber nicht nur Höhepunkte gegeben haben.

Bretschko: Das liegt oft eng beieinander. Nehmen Sie Willhaben: Das ist  unser dritter Versuch im Classified-Bereich, also quasi Kleinanzeigen in digitaler Form: Einmal haben wir's mit der "Kleinen Zeitung" probiert und es hat nicht funktioniert. Einmal mit anderen Bundesländerzeitungen unter dermarkt.at – auch das hat nicht funktioniert. Die zentrale Frage lautet: Wenn etwas nicht funktioniert – was macht man daraus? Bleibt man drauf – wie wir nun mit Erfolg bei "Willhaben". Oder steigt man aus – wie die Styria aus der adressierten Postzustellung. Wir haben gesehen, die funktioniert nicht im österreichischen Markt. Wenn man 21 Jahre für ein Unternehmen arbeitet und  sagt, man habe nie Flops oder Probleme produziert – dann hat man möglicherweise nicht sehr viel produziert.

STANDARD: Sie haben jetzt 21 Jahre die österreichische Medienbranche mitgestaltet. Bevor Sie sich neu orientieren – ihre Perspektive für die Branche, was immer das nun ist zwischen klassischen Medien, sozialen Medien, österreichischen und internationalen Riesen?

Bretschko: Ich habe ein durchaus positives Bild. Auch für klassische Medienunternehmen verlegerischer Herkunft bin ich optimistisch. Es gibt genug Optionen – es kommt darauf an, was man daraus macht. Ich sehe auch Tageszeitungen positiv – sie haben heute viel mehr Kanäle, um Inhalte zu verbreiten. Es muss nur gelingen, diese Kanäle wirtschaftlich erfolgreich zu nutzen. Da gilt es etwa, Produkte für Smartphones und Tablets zu erstellen, für die Menschen auch zu zahlen bereit sind.

STANDARD: Bisher scheint die Zahlungsbereitschaft aber meist ziemlich überschaubar.

Bretschko: Man wird diese digitalen Angebote auch vermarkten müssen. Hätte man in die klassische gedruckte Zeitung nicht soviel Vermarktungsknowhow investiert, über Call Center, Vertriebsmarketingaktionen et cetera – dann hätten wir heute nicht bei der "Kleinen Zeitung" mehr als 270.000 Abonnenten. Wenn man mit der gleichen Intensität, dem gleichen Engagement, dem gleichen langen Atem für digitale Plattformen Geld verlangt, wird es funktionieren. Aber kaum stellen Onlineangebote eine Paywall auf, kommt das große Jammern – nur 2000 haben das digitale Angebot angenommen. Wenn ich 15 Jahre lang nichts verlange, kann ich nicht erwarten, dass alle Hurra schreien und dafür bezahlen wollen. Wir waren bei der Zeitung immer zufrieden, wenn wir mit einer Aboaktion 2000 neue Abonnenten gewonnen haben. Dahinter steckt eine falsche Erwartungshaltung. Bei der "Kleinen Zeitung" führen wir im Jahr rund eine Million Telefonate für das Vertriebsmarketing. Derselbe Einsatz für eine Smartphone-App, und das über zehn Jahre – schaffe ich vermutlich auch 100.000 Abonnenten. Da ist man zu kurzfristig getaktet.

STANDARD: Das sind die Vertriebseinnahmen – Medien stützten sich lange vor allem auch auf Werbeeinnahmen.

Bretschko: Den Werbemarkt sehe ich kritischer als den Vertriebsmarkt. Dort ist die Konkurrenz noch größer. Sich hier zu positionieren und abzugrenzen scheint mir noch schwieriger. Gerade in der klassischen Display-Werbung, steht man in einem Hyper-Wettbewerb. Wie man in dem Hyper-Wettbewerb bestehen kann, muss man erst sehen. Also muss man neben der klassischen Display-Vermarktung andere Monetarisierungsformen finden.

STANDARD: Große deutsche Medienkonzerne wie Springer und Burda setzen auf Nichtmedienangebote in Handel, Vermittlung. Braucht es solche Geschäfte, um sich Journalismus leisten zu können?

Bretschko: Der klassische Journalismus hat sich nie komplett selbst getragen. Er ist immer auf mehreren Standbeinen gestanden, etwa eben auch Inseraten. Insofern unterscheidet sich die neue Welt nicht so sehr von der alten. Nur ermöglicht die neue Welt neue Formen dafür. Vor zehn Jahren haben Zeitungen noch 60 Prozent aus Werbung eingenommen, heute sind die Vertriebseinnahmen vorne.

STANDARD: Spielte bei Ihrem Abgang eine Rolle, dass 2012 besonders ambitioniert budgetiert wurde – und die Styria dann doch merklich unter den Planzahlen blieb?

Bretschko: Nein. Wir können mit dem Jahr 2012 ganz zufrieden sein. Es hat nicht ganz unsere Erwartungen erfüllt, weil wir ehrgeizig geplant haben. Aber wenn das tatsächliche Ergebnis immer noch gut ausfällt – war das eben ein ehrgeiziger Plan. Wir haben unsere Lehren daraus für 2013 gezogen –  und liegen im ersten Halbjahr besser als im ersten Halbjahr 2012 und deutlich besser als geplant.

STANDARD: Was wünschen Sie denn der Styria, nun, wo sich Ihre Wege teilen?

Bretschko: Dass sich die Styria weiterhin so erfolgreich im Medienumfeld in Österreich, Slowenien und Kroatien behaupten kann. Dass sie weiter eine unverwechselbare Stimme in diesen drei Ländern bleibt. Und dass sie weiter auf journalistische Qualität setzt. Wir haben starke, journalistische Marken in dem Konzern. Die "Kleine Zeitung" ist eine der bestperformenden Tageszeitungen in Österreich, wahrscheinlich im europäischen Raum. Wenn es gelingt, dazu starke digitale Positionen aufzubauen, dann wird sich die Styria als unabhängiges Medienunternehmen behaupten können.

STANDARD: Mit allen Titeln?

Bretschko: Das kann man nie über fünf oder zehn Jahre sagen. Die Branche bewegt sich. Manches kommt dazu, manches weg. Wir sind vor drei Jahren aus dem oberitalienischen Markt ausgestiegen, haben das Produkt verkauft – und die Zeitung gibt es weiterhin. Eine solche Gruppe muss stets darauf achten, dass das Portfolio ausgewogen aufgestellt ist. (Harald Fidler, DER STANDARD, 23.7.2013)