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"Inch'Allah": Der algerische Präsident Bouteflika wurde nach einem Schlaganfall in Frankreich behandelt.

Foto: Reuters

Algier/Madrid – Ein müder algerischer Präsident Abdelaziz Bouteflika kehrt nach 81 Tagen im Rollstuhl aus dem Pariser Hospital, wo er wegen eines Schlaganfalls behandelt wurde, in seine Heimat zurück. Seine engsten Vertrauten empfangen ihn. Der 76-jährige Staatschef sagt nur einen Satz: "Inch'Allah!" – "So Gott will!"

"Ist der Präsident in der Lage, sein Geschäfte zu führen?", fragt sich die Presse angesichts dieser Szene in der vergangenen Woche. Längst geht es nicht mehr darum, ob Bouteflika nach 14 Jahren an der Spitze des nordafrikanischen Landes eine vierte Amtszeit anstrebt. Viele seiner Landleute zweifeln, dass er überhaupt bis zu den Wahlen im April 2014 durchhält. Die Erklärungen aus dem Präsidialamt sind alles andere als beruhigend: Bouteflika brauche "einige Zeit für Behandlungen und Rehabilitation", heißt es in einem Kommuniqué.

Das bedeutet weiteren Stillstand der Politik. Bedeutende Gesetze, wie die Öffnung von Fernsehen und Radio für weitere Privatsender, liegen seit Monaten in den Schubladen, ohne dass der Präsident sie unterzeichnet hätte. Selbst ein wichtiger Zusatzhaushalt für 2013 wurde nicht verabschiedet. Bouteflika machte sich schon lange vor seinem Schlaganfall rar. Seit einer Operation 2005 – offiziell ein Magengeschwür, inoffiziell Magenkrebs – tritt Boute­flika kaum noch an die Öffentlichkeit. Mit Ausnahme der Gipfeltreffen der Arabischen Liga reiste er nicht mehr in Ausland.

Auf Hochtouren

Die Vorbereitungen für die Nachfolge Bouteflikas laufen hinter den Kulissen auf Hochtouren. Eine Amtsenthebung aus Gesundheitsgründen mit anschließenden Neuwahlen binnen 60 Tagen, wie sie die Verfassung vorsieht, wird es erst einmal nicht geben. Dazu wäre eine Zweidrittelmehrheit im Parlament nötig. Während Teile der Opposition – allen voran die Islamisten – einen solchen Prozess einfordern, brauchen die beiden Regierungsparteien, die Nationale Befreiungsfront (FLN), deren Ehrenvorsitzender Bouteflika ist, und deren Abspaltung, die Nationale Demokratische Versammlung (RND), die Zeit bis April.

Denn beide Parteien stecken in einer tiefen Krise. Weder die FLN noch die RND haben derzeit einen Generalsekretär. Beide Formationen sind durch innere Machtkämpfe tief gespalten. Eine Einigung auf jeweils einen Kandidaten oder gar auf einen gemeinsamen Anwärter auf das Präsidentenamt scheint schier unmöglich.

Zwei der Schwergewichte der algerischen Politik, die immer wieder als mögliche Präsidentschaftskandidaten gehandelt werden – der ehemalige FLN-Generalsekretär, Abdelaziz Belkhadem, und der langjährige RND-Chef und ehemalige Regierungschef, Ahmed Ouyahia –, haben somit ein ernsthaftes Problem. Und mit ihnen die Armee, die seit der algerischen Unabhängigkeit aus dem Hintergrund die Fäden zieht und die Kandidaten bestimmt. Sowohl Belkhadem als auch Ouyahia hätten einen guten "offiziellen" Kandidaten abgegeben.

Die Presse in Algerien beschäftigt sich deshalb mit Rätselraten. Viele der Namen für mögliche Kandidaten sind in die Jahre geratene Ex-Regierungschefs aus den Reihen der FLN, doch keiner von ihnen hat wirklich Gewicht. Die Opposition ist zersplittert und hat ebenfalls keine charismatischen Persönlichkeiten, die für Konsens sorgen könnten. Und die Islamisten können sich nach den schlechten Ergebnissen bei der Parlamentswahl keine Hoffnungen machen, einen der Ihren in den Präsidentenpalast zu bringen.

Der Blick ist deshalb einmal mehr rückwärtsgewandt. Boute­flikas Vorgänger Liamine Zeroual, der das Land in den 1990er-Jahren, mitten im Konflikt mit den bewaffneten Islamisten, stabilisierte, gäbe einen guten Kandidaten ab, ist immer wieder zu hören und zu lesen. Der General im Ruhestand genießt nach wie vor ein hohes Ansehen unter seinen Landsleuten.

"Dass ihr mich nach einer neuen Amtszeit fragt, ehrt mich sehr", nahm er vor Enkeln der Gefallenen im Befreiungskrieg zu dieser Idee Stellung. "Eigentlich müsste ich vor Freude in die Luft springen. Stattdessen bin ich sehr traurig, traurig wegen Algerien. Ich bin 72 Jahre alt. Algerien hat viele junge Leute. Es ist an der Zeit, dass sie die Macht übernehmen", fügt Zeroual hinzu. Und er fordert ein Ende der "vorausgesuchten Präsidenten". (Reiner Wandler  /DER STANDARD, 22.7.2013)