Bild nicht mehr verfügbar.

Ein Kuss auf dem Taksim-Platz vor dem Aufgang zum Gezi-Park: Ein Aktivistenpaar gab sich das Jawort, dann kamen wieder die Wasserwerfer.

Foto: APA/EPA/Sahin

Sie haben sich während der ersten Tage des Protests im Juni kennengelernt: Nuray, die Krankenschwester, die ihre Wohnung in Istanbul in eine Ambulanz umfunktioniert hatte, um verletzte Demonstranten zu versorgen, und Özgür mit dem abgebrochenen Medizinstudium. Die Revolutionsromanze mündete in eine Hochzeit, die standesgemäß am Ort des ersten Treffens, im Gezi-Park, gefeiert werden sollte. Statt Schampus floss dann aber Wasser aus Hochdruckkanonen, gemischt mit ätzenden Chemikalien.

Denn Istanbuls Gouverneur hatte am Samstagabend die Hochzeit im Park verboten und ließ die Grünanlage wieder einmal von der Polizei räumen. Anschließend jagte die Polizei Demonstranten in der Istiklal-Straße und den Seitengassen der Einkaufsmeile. Der Vorfall zeigte, wie gering die Toleranz des türkischen Staats selbst bei vergnüglichen Protesten der Regierungsgegner ist. Vor einem Monat ließ der konservativ-muslimische Premier Tayyip Erdogan mit Gewalt die Besetzung des Gez-Parks beenden, wo Zehntausende gegen den Bau eines Einkaufszentrums und für mehr Demokratie demonstrierten. Ein Gericht stoppte dann Erdogans Baupläne, die Protestbewegung läuft in der Türkei aber weiter.

Später am Samstagabend sah sich gar der Innenminister genötigt, im Fernsehen eine Stellungnahme abzugeben. "Gegen "ungesetzliche Handlungen, Vandalismus und gegen die Beschädigung von öffentlichen und privaten Eigentum werden wir auf jeden Fall die Polizei einsetzen", erklärte Muammer Güler und meinte damit offenbar die Hochzeitsfeier, zu der mehrere hundert Gezi-Aktivisten ins Zentrum von Istanbul gekommen waren.

Bürgermeisterwahl 2014

Das junge Paar hatte zuvor im Rathaus im angrenzenden Stadtteil Şişli geheiratet, wo Mustafa Sarigül Bürgermeister ist, ein populärer Lokalpolitiker und ehemaliges Mitglied der Oppositionspartei CHP, der als möglicher Herausforderer der Regierungspartei bei den Wahlen in der Millionenmetropole im nächsten Frühjahr gilt.

Braut und Bräutigam trugen bei der Vermählung Gasmasken um den Hals und Bauhelme aus den Gezi-Tagen, mit denen sich die Demonstranten vor den Gaskartuschen der Polizei zu schützen versuchten. Man schwor einander, bis zum Lebensende "Widerstand zu leisten" und ein "Lump" zu sein; als "Lumpenpack" hatte der türkische Regierungschef die Demonstranten bezeichnet. Als das Paar zum Gezi-Park zurückging, erlaubte ihnen die Polizei zumindest, für einige Erinnerungsfotos in die Anlage zu gehen.

In Izmir und Ankara zogen zur selben Zeit wieder Tausende auf den Straßen, um gegen den autoritären Stil der Regierung Erdogan zu demonstrieren. Der Premier rief derweil die Justiz auf, Türken den Prozess zu machen, die abends aus Protest auf Töpfe schlagen. (Markus Bernath, DER STANDARD, 22.7.2013)