Wien - Im Mai 2009 schloss ein internationales Forscherteam im Rahmen des "International Continental Scientific Drilling Program" (ICDP) Bohrungen in einem Kratersee im Nordosten Sibiriens ab. Vor etwa 3,6 Millionen Jahren schlug dort ein Meteorit ein und hinterließ einen Krater, er sich mit dem heutigen Elgygytgyn-See füllte. Doch der Krater lässt sich seine Geheimnisse nur schwer entlocken. Darüber, wie der Meteorit zusammengesetzt war, kommen etwa Wiener Impakt-Forscher um Christian Köberl und Kollegen aus Belgien und den USA zu unterschiedlichen Ergebnissen. Außerdem fand sich erstaunlich wenig beim Einschlag geschocktes Gestein in den Proben, sagt Köberl.

Zusammenarbeit gefragt

Im Zuge des Großprojekts wurden 2009 insgesamt 642,3 Meter an Sediment- und Impaktgestein-Bohrkernen aus vier Bohrlöchern vom bis zu 170 Meter tiefen Seegrund entnommen. "Derart aufwendige und teure Untersuchungen kann man nicht nur aus einem Wissenschaftsgebiet heraus auf die Beine stellen", erklärte der Direktor des Naturhistorischen Museums (NHM) und Professor an der Universität Wien, der als einer der vier Projektleiter fungierte.

Im Fall des Elgygytgyn-Kraters versprechen sich einerseits Klimaforscher anhand der Sedimentablagerungen oberhalb des Grundes Aufschlüsse über die Klimageschichte, andererseits sind Impakt-Forscher an den Gesteinsschichten darunter interessiert. Gemeinsame Analysen der Schichten am Übergang wollen die beiden Forschungszweige bald gemeinsam in Angriff nehmen. Den Ergebnissen der Untersuchungen der Impaktgestein-Bohrkerne widmete die Fachzeitschrift "Meteoritics and Planetary Science" kürzlich bereits einen Sonderband.

Enttäuschung und Überraschung

"Aus Sicht der Impaktforschung ist der Einschlagskrater deshalb interessant, weil er der einzige ist, der in sauren vulkanischen Gesteinen entstanden ist", so Köberl. Die dortigen Gesteine sind vor etwa 80 bis 90 Millionen Jahren entstanden und weisen besondere Zusammensetzungen auf. Es handle sich daher um ein "wissenschaftlich einzigartiges Zielobjekt", nämlich um den einzigen Ort, wo diese speziellen Vulkangesteine in geschocktem Zustand analysiert werden können.

Die Wiener Wissenschafter haben um die 100 Proben im Rahmen eines vom Wissenschaftsfonds FWF geförderten Projektes untersucht. Ein exotisches Gestein, das aus den Untersuchungen der Umgebung des Kraters noch nicht bekannt war, war allerdings nicht darunter - das müsse man "fast enttäuscht sagen", so Köberl. Die Ergebnisse decken sich mit denen von Forschungsgruppen aus Deutschland und den USA.

Nachhaltige Wärmequelle

"Was sich überraschend herausgestellt hat, war aber die relativ geringe Menge an geschocktem Material". Außerdem fand sich nur eine sehr geringe Menge an Gestein, das direkt beim Impakt aufgeschmolzen wurde und dann wieder erstarrt ist. Zusammen mit der geringen Menge an geschocktem Gestein läge die Vermutung nahe, dass der Meteorit damals auf viele verschiedene Typen feuchten Gesteins getroffen ist, das möglicherweise auch bereits stark verwittert und entsprechend feinkörnig war. 

"Hier könnte beim Einschlag sehr viel Energie darauf verwendet worden sein, dieses Verwitterungsmaterial und das Wasser zu verdampfen", erklärte Köberl. Zum großflächigen Aufschmelzen von massivem Gestein blieb womöglich wenig Energie übrig, trotzdem könnte der Krater noch bis zu einige zehntausend Jahre nach dem Einschlag warm gewesen sein.

Unterschiedliche Interpretationen

Welcher Meteoriten-Typ damals den verheerenden und auf dem ganzen Kontinent spürbaren Einschlag verursacht hat, konnte jedoch noch nicht eindeutig geklärt werden. Die Gruppe um Köberl schließt aus ihren Untersuchungen, dass es sich um einen Ureiliten gehandelt haben könnte, einen Meteoriten mit kohlenstoffreicher Grundstruktur. Eine eindeutige Erklärung für den Ursprung dieses seltenen Typs von Meteoriten gibt es noch nicht.

Forscher aus Belgien und den USA schließen hingegen auf einen Chondriten, also einen Meteoriten, in dessen feinkörnige Grundmasse Silikatkügelchen eingebettet sind - die weitaus häufigste Variante von Meteoriten.

Denkbar sei, dass die Abweichungen aufgrund unterschiedlicher Analysemethoden und unterschiedlichen Probenmaterials zustande kamen. Es sei aber auch möglich, dass es sich um einen Himmelskörper gehandelt hat, der aus beiden Materialien bestanden haben könnte, so Köberl. Erst 2008 schlug nämlich ein solcher Meteorit über der Wüste des Sudan ein. An dieser Frage wollen die Forscher jedenfalls weiterarbeiten. (APA/red, derStandard.at, 19. 7. 2013)

(S E R V I C E - Veröffentlichungen online unter: http://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1111/maps.2013.48.issue-7/issu etoc