Spiritus und Esprit: Revolutionsszene aus Paulus Mankers "Wagnerdämmerung" im dritten Kellergeschoß des k. und k. Post- und Telegrafenamtes am Wiener Börseplatz.

Foto: Anna Fiala

Wien - Kellertheater einmal anders: Das neue Simultandrama von Paulus Manker führt in das kühle und feuchte dritte Kellergewölbe des ehemaligen k. und k. Post- und Telegrafenamtes am Börseplatz hinab. Dort unten, wo in einem weit verzweigten Raumgefüge Industrieanlagen verrotten und man fallweise auf den puren Erdboden tritt, folgt man im Schwarm des Publikums der Musik Richard Wagners zu Dutzenden parallel ablaufenden Szenen aus dessen Leben und Werk.

 Regisseur Manker kann - wie schon beim Vorgängerstück Alma - A Show Biz ans Ende (1996-2012) auch bei diesem Personality-Drama aus einem Füllhorn schöpfen. Sowohl das Werk als auch eine pralle, in vorzüglichen Briefen gut dokumentierte Biografie Wagners geben in den Katakomben mehr als genug Stoff ab, um das Publikum zwei Stunden lang (exklusive einem Vorspiel im Hof) zu umfangen.

Dabei bleiben Klischees und Pathos nicht ausgespart: Der Bombast aus Richard Wagners Musik setzt sich bildgewaltig in der Inszenierung fort - sie ist eher eine Installation einzelner Performances. Die Schauspieler lassen sich bei vollem Einsatz von der Musik peitschen und sind auch akrobatisch gefordert. Gleich zu Beginn hängt Wotan, der Weltbeherrscher (David Pakzad), wie ein altmodischer Spider-Man (Kostüme: Ulrike Kaufmann) hoch oben an der gewölbten Ziegelwand über dem Nibelungenhort.

In fast allen Räumen lodert Feuer an Fackeln und an diversen mit Spiritus in Brand gesteckten Objekten dieser Wagnerdämmerung. Das Feuer als Symbol der Zerstörung und zugleich der Lebenserneuerung, wie es im Ring des Nibelungen vielfach vorkommt (Schmieden des Schwertes durch Siegfried, Feuerring um Brünnhilde, Untergang Walhalls) reizt Paulus Manker ziemlich aus. Manch Zuseher geht deswegen auch mit Wachstropfen an der Jacke nach Hause.

Donnergrollend zieht einen die über Lautsprecher aus allen Ecken tönende Musik durch die Gänge dieser Geisterbahn. Kaum auszumachende, da sich überlagernde Wagner-Klänge vibrieren unter den Füßen. Aus sämtlichen Ritzen zieht Theaternebel herein, es wird zunehmend düster bis ganz finster. So lange, bis wieder jemand sein Smartphone in ein Erdloch nach unten hält, wo etwa ein Mann (Wagner) wie hingeworfen liegt und starren Blickes heraufschaut oder eine leicht bekleidete Schönheit (Lilly Kroth) als Wagners Geliebte Judith Gautier heraufhimmelt.

Gruß aus dem Sarg

Viele Frauen kommen in der Wagnerdämmerung vor; Ehegattinnen (toll: Veronika Glatzner als Cosima) wie Geliebte. Walküren hängen kopfüber von Gestängen, klammern sich mit wallenden Haaren an silbrige Lüftungsröhren oder werden barbusig im Obergeschoß angekettet. Aus dem Sarg meldet sich auch Winifred Wagner (Katja Sallay) zu Wort, die antisemitische Schwiegertochter Richard Wagners, die den Bayreuther Festspielen bis 1944 vorstand und ihrer tiefen Verbundenheit mit Adolf Hitler verbal Ausdruck verleiht. Zugleich durchstreift der Ewige Jude (Yehuda Almagor) die von Wagners Dämonen bewohnten Räume und macht Witze.

Die Wagnerdämmerung, die sich über die Zwischennutzungsphase der derzeit desolaten Luxusimmobilie am Börseplatz hinaus ein Weiterleben wünscht, stammt nun nicht wie angekündigt aus der Feder von Mankers langjährigem künstlerischem Partner Joshua Sobol. Im Programmheft bleibt die Autorschaft offen (Dramaturgie: Oliver Binder), vieles ist auch verwobenes dokumentarisches Material.

Zum Schlussbild mit Pferdekutsche zieht das Publikum nach oben vor das Telegrafenamt, um aber sogleich wieder abzutauchen in das Gewölbe. Dort bittet man dann in den Räumen, wo kurz zuvor noch gespielt wurde, zum Gala-Dinner. Clever, wenn auch wohl rein praktischer Natur: Mit dieser exklusiven Untergrundverköstigung treibt Manker das Dekadente auf die Spitze.

Der Regisseur hat es unterlassen, sich mit seinem zugkräftigen Ensemble zu verbeugen und Beifall entgegenzunehmen. Allein für die Idee, eine "Gruft" als Klangkörper für Wagner zu nutzen, hätte er ihn bekommen. (Margarete Affenzeller, DER STANDARD, 18.7.2013)