Der deutsche Dirigent Ingo Metzmacher zu "Gawain": "Es ist eine sehr dichte Partitur."

Foto: Lisi Specht

Ingo Metzmacher ist bei den Salzburger Festspielen der Mann fürs Moderne. Er hat Bernd Alois Zimmermanns Die Soldaten profund umgesetzt, auch Luigi Nonos Al gran sole carico d'amore. Er kennt das Festival indes nicht nur – er schätzt es auch: "Die Arbeitsbedingungen sind phänomenal, auch das Engagement aller Beteiligten. Bei allen Kontroversen haben die Festspiele eine Wahnsinnsgeschichte, viele bedeutende Dinge haben dort stattgefunden. Das bringt einen besonderen Geist, das hat mir immer gefallen. Ich bin auch froh, dass die Moderne dort Platz hat. Das finde ich wichtig. So ein Festival muss das machen, es ist ja auch in seiner Geschichte begründet."

Besonders geeignet für die Moderne hält der Dirigent aus Hannover (Jahrgang 1957) die Felsenreitschule: "Sie hat sehr unkonventionelle Proportionen. Dass Zimmermann und Nono so gut funktioniert haben, hängt mit ihr zusammen. Sie ist gut für Stücke mit massivem Klang – und Gawain ist so ein Stück. Man kann das Orchester im Raum verteilen, dann klingt es nicht so gedrängt, wie es klänge, würde man alles in einen normalen Operngraben zwingen."

Für die Regie sei "dieser Raum natürlich eine große Herausforderung, weil die Bühne sehr breit ist. Aber das kann man auch nutzen." Was ist das Herausfordernde bei Gawain, diesem Werk des Briten Harrison Birtwistle? "Es ist eine dichte Partitur, rhythmisch sehr fein gearbeitet. Manches ist quasi im wagnerischen Stil durchkomponiert, es gibt aber auch ­zyklische Formen, Wiederholungen von Teilen. Klanglich ist das Werk ungeheuer beeindruckend. Das umzusetzen und die Sänger nicht über die Maßen zu strapazieren ist eine Herausforderung."

Nach Metzmacher, der auch Generalmusikdirektor an der Hamburgischen Staatsoper war, geht es in Gawain "um den Gegensatz zwischen Christentum und der Welt davor. Der grüne Ritter repräsentiert den Glauben, den es vor dem Christentum gab, einen, der sich an der Natur orientiert hat. Deswegen ist der Ritter grün, sogar sein Pferd ist grün. Es geht um den Konflikt zwischen dem alten Naturglauben und dem Christentum."

Debatten zur Inszenierung

Alvis Hermanis habe "eine Regieübersetzung gefunden, die sehr aktuell ist. Es wird bei Gawain die Transposition eines mittelalterlichen Stoffes in eine Zeit geben, die noch vor uns liegt, in eine fast utopische Zeit. Ich glaube, die Inszenierung wird eine Debatte auslösen, und das finde ich gut. Die Eröffnungspremiere soll auch ein Statement sein. Festspiele sollten Anstöße geben. Kunst kann das enorm gut."

Es könne ja nicht nur darum gehen, "dass sich alle nur wohlfühlen. Die Ursprungsidee der Festspiele war wohl eine andere. Es ging um eine bessere Welt für die Zukunft. Man soll innehalten und nachdenken, sich die großen Themen bewusstmachen, nichts verdrängen." Metzmacher hat sich dieser Musik "über die Handschrift des Komponisten" genähert, und das sei sehr mühselig. "Man muss entziffern. Sie bekommen durch Handschriften aber mehr Informationen als durch gedruckte Partituren. Ich staune immer wieder, wie komplex die Komponisten in ihrem Kopf sein müssen, um solche Partituren schreiben zu können. Ungeheuerlich! Und: Harrison Birtwistle hat eine ganz eigene Sprache gefunden, man kann dies sofort erkennen."

Zum Gelingen einer Opernaufführung bedarf es nach Metzmacher auch der Regie: "Ich will immer wissen, was der Regisseur macht. Für mich ist es interessanter, wenn er mir von der Bühne her Energie entgegensetzt, damit die Musik einen Partner hat. Jede gute Opernmusik ­verlangt danach. Sie will nicht bedient werden, sie fordert das Theater heraus. Meines Erachtens kann eine Opernaufführung nur wirklich gelingen, wenn sich Bühne und Graben gegenseitig inspirieren." Und: Man sollte dabei sein: "Es ist wie beim Fußball: Im Fernsehen ist das eine halbe Geschichte. Man erlebt das Spiel komplett anders, wenn man dabei ist. Ein Konzert mitzuerleben ist auch ein räumliches Erlebnis. Da müssten Sie sich ein Studio bauen, mit mindestens tausend Lautsprechern, um in die Nähe dessen zu kommen, was Sie etwa im Wiener Musikverein hörend erleben." (Ljubiša Tošić, Rondo Spezial, DER STANDARD, 19.7.2013)