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14.000 Patienten kommen jährlich in das Spital Göttlicher Heiland. Für Kirstin B. endete der Besuch 2008 tödlich.

Foto: APA/Fohringer

Wien - Es war eine einfache Fußoperation, die an Kirstin B. durchgeführt wurde - und dennoch war die 23-Jährige knapp achtzehn Stunden später tot. Gestorben in ihrem Krankenbett im Wiener Spital "Göttlicher Heiland", letztendlich an einem Herzinfarkt. Der Grund, aus Sicht der Staatsanwaltschaft: Ihr wurden viel zu viel Schmerzmittel verabreicht, was nur aufgrund mangelnder Organisation möglich gewesen sei.

Fahrlässige Tötung unter besonders gefährlichen Umständen lautet der Vorwurf, der dem Oberarzt Hans-Jörg T., dem damaligen Turnusarzt Martin J. und, ungewöhnlich in Österreich, dem Spital selbst, in Person des Geschäftsführers Johannes S., gemacht wird. Letzterem droht kein Gefängnis, sondern als Unternehmen nur eine Geldbuße. Die Strafandrohung für die unbescholtenen Ärzte: bis zu drei Jahre Haft.

Alle drei bekennen sich im Wiener Straflandesgericht vor Richterin Andrea Philipp nicht schuldig. Aus unterschiedlichen Gründen: Der Erstangeklagte argumentiert, er habe nur operiert und habe sich um die spätere Schmerztherapie nicht kümmern müssen. Der Zweitangeklagte sagt, die Art, wie und wie viele Schmerzmittel er am 28. November 2008 verabreichte, sei ein übliches Prozedere gewesen. Und der Spitalschef sieht keine Verantwortung, da es ein bedauerlicher Einzelfall gewesen sei, der aber nicht an einem grundsätzlichen Organisationsproblem liege.

"Es war keine große Sache, beide Füße zugleich zu operieren", sagt T. der Richterin. 600 Fußoperationen führe er pro Jahr durch, daher kenne er auch die übliche Dosis an Schmerzmittel, die er schon vor dem Eingriff in die Krankenakte eingetragen hat. Drei Injektionen mit einem starken Medikament. "Aber das ist nur ein Vorschlag, keine verbindliche Anordnung."

Denn: "Schmerz ist etwas, das individuell ist." Nach der OP sei die Patientin in den Aufwachraum gebracht, dann zurück auf die Station verlegt worden.

Schon im Aufwachraum beginnt das Problem. Denn dort wird der Frau das zu Mittag erste Mal das Mittel injiziert, was korrekt im Krankenblatt vermerkt wird. "Die Patientin hat bei uns über starke Schmerzen geklagt" , erzählt Martin J., der dortige Turnusarzt. "Ich habe mich auf die Einschätzung des Pflegers verlassen, der sehr erfahren ist."

Krankenakte

J. warf einen kurzen Blick in die Krankenakte und verabreichte dem Opfer eine weitere Dosis. Um 17 Uhr schaute auch der Oberarzt nochmals vorbei, sah, nach seinen Angaben, dass schon sehr viel verabreicht wurde, und empfahl ein anderes Medikament.

Der Turnusarzt sagt, er habe das missverstanden, und sei davon ausgegangen, dass das nur als Zwischenschritt geplant war und er bei Bedarf das ursprüngliche, stärkere, Mittel einsetzen könne. "Meine Erfahrung war, dass drei Dosen nicht reichen und man auf der Station einen gewissen Spielraum hat."

Die Therapie schien zu wirken: "Am Abend war sie fröhlich und hat sogar ein wenig gescherzt", schildert er. Doch in der Nacht kamen die Schmerzen wieder, also wurde weitertherapiert. Dass das "Wind-up-Phänomen" eintreten könnte, bei dem mehr Schmerzmittel zu immer mehr Schmerzen führen, habe er damals nicht gewusst. Ebenso wenig, was die junge Frau eigentlich genau im Aufwachraum bekommen habe.

In der Früh kam es zu Komplikationen, die schließlich zum Herzinfarkt führten. "Aber die Folgen waren wenig erwartbar, die Wahrscheinlichkeit liegt bei 0,5 Prozent", zitiert der Verteidiger von Oberarzt T., Harald Schuster. Und bezieht sich dabei auf die vier medizinischen Sachverständigen, die die Angeklagten konsequent mit "Herr Kollege" ansprechen.

Geschäftsführer S. drückt schließlich seine "ganz fürchterliche Bestürzung" über den Todesfall aus. Aber auch die Bestürzung, "dass wir mit solchen Anschuldigungen konfrontiert werden". Denn das interne System sei in Ordnung gewesen und damals von 60 Prozent der Spitäler angewandt worden. Dass ein Anästhesist die Patientin 24 Stunden überwachte dagegen die Ausnahme.

Am Dienstag wird fortgesetzt. (Michael Möseneder, DER STANDARD, 16.7.2013)