Nachdem wochenlang neue Missstände im österreichischen Strafvollzug für eine heftige öffentliche Debatte gesorgt haben, hat Justizministerin Karl am Donnerstag erste Pläne für Verbesserungen im Jugendstrafvollzug vorgestellt. Einige Punkte, wie z.B. die Unterbringung von jugendlichen U-Häftlingen in betreuten Wohngemeinschaften sind längst überfällig, weisen aber jedenfalls in die richtige Richtung.

Trotzdem wäre es ein Missverständnis, die Angelegenheit mit diesem Paket für erledigt zu halten. Zum einen, weil die angekündigten Absichten ihrer möglichst sofortigen Umsetzung harren. Zum anderen weil die Diskussion der letzten Tage Missstände grundsätzlicher Natur aufgezeigt haben, die grundlegender Reformen und nicht punktueller Maßnahmen bedürfen.

Strafrecht erfordert Sachlichkeit

Zu allererst sollte aus dieser Debatte eine Erkenntnis folgen: Es ist eine Fehlkalkulation, in Sachen Strafrecht im Zweifel auf "Law and Order"-Parolen zu setzen. Die heftig und zu Recht kritisierte Stoßrichtung der ersten Reaktionen der Justizministerin auf die öffentlich gewordene Vergewaltigung eines Jugendlichen U-Häftlings waren ja genau diesem Instinkt gefolgt: Erstens gehe es den Häftlingen eh gut und dürften sie sich kein Paradies erwarten, zweitens werde es schon einen Grund haben, dass sie sitzen und drittens sei sie keine Sozialromantikerin – unausgesprochener Umkehrschluss: Wer diese skandalösen Vorfälle kritisiere, wäre ein solcher.

Der Schuss ging nach hinten los. Auch die in einem zweiten Schritt erfolgende Schuldzuweisung an alle möglichen Stellen ("Die Volksanwaltschaft hat keine Missstände aufgezeigt", "die zuständige Richterin hat offenbar einen Fehler gemacht") ist wenig hilfreich. Es sollte vermieden werden, z.B. in der Frage der betreuten Wohngemeinschaften diesen Fehler zu wiederholen: Die Kooperation der Jugendwohlfahrtsträger ist sicher hilfreich, die Ressourcen für den Jugendstrafvollzug sind aber schon von der Justiz bereitzustellen. Nun ist es hoch an der Zeit, dass wir uns nun nach einer mehr als verzichtbaren Phase der Leugnung ("ein Einzelfall") und Schönfärberei ("bedauerlich, aber nicht verhinderbar") wieder den Sachproblemen zuwenden.

Jugendgerichtshof

Hier lehnt die Ministerin leider mit besonderer Verve die Wiedereinrichtung des – 2003 von Schwarz-Blau abgeschafften - Jugendgerichtshof neu ab. Dafür werden eigentlich wenig sachliche Argumente vorgebracht und es drängt sich der Eindruck auf, dass die Weigerung primär damit zusammenhängt, dass die Abschaffung nicht nachträglich als der ideologisch motivierte Fehler erscheinen soll, der er war. Das ändert nichts an der Notwendigkeit, eines solchen Jugendgerichtshofs, der ja nicht nur (eigentlich am allerwenigsten) eine Haftanstalt sein soll, sondern ein Kompetenzzentrum für Jugendstrafrecht und Resozialisierung auf Abwege geratener Jugendlicher. Ein solches Kompetenzzentrum braucht es mehr denn je, mit geeigneten Räumlichkeiten, ausreichendem und speziell geschultem Personal.

"Baue Gefängnisse und du wirst sie füllen"

Die Ressourcen dafür sind vorhanden, wenn die Prioritäten richtig gesetzt werden. Maria Berger hat erst vor wenigen Tagen darauf hingewiesen, dass sie in ihrer Amtszeit das Projekt für ein neues Gefangenenhaus in Richtung eines neuen Jugendgerichts umgelenkt hatte, ihre Amtsnachfolgerin Bandion-Ortner das Projekt aber wieder ad acta gelegt hat. Jetzt steht wiederum die Errichtung eines neuen Gefängnisses ganz oben auf der Agenda. Hier wird sinnlos Geld vergeudet, das anderweitig deutlich nachhaltiger in die Sicherheit und Prävention investiert werden könnte.

Man muss nicht die Vision teilen, auf lebenslange Haftstrafen verzichten zu können, um zu erkennen, dass Haftstrafen (besonders kurze Haftstrafen) bei Verurteilten oft wesentlich mehr persönlichen und gesellschaftlichen Schaden anrichten, als sie nutzen. Wer aus seinem beruflichen und sozialen Umfeld gerissen wird und wochen- oder monatelang in einem Umfeld verbringt, in dem "Gewalt zum Haftalltag gehört",  wie das eine Studie der Opferschutzorganisation Weißer Ring benennt, der wird kein besserer Mensch, sondern läuft Gefahr endgültig auf die schiefe Bahn zu rutschen.

Mit den Reformen der 70er-Jahre (Geldstrafen, Ausweitung bedingter Haftstrafen), aber auch den Instrumenten der Diversion oder dem jüngst eingeführten Strafvollzug mit Fußfessel stehen viele sinnvolle Mittel zur Verfügung, auf Haftstrafen zu verzichten und straffällig gewordene Menschen nicht endgültig ins Reich der Halb- und Unterwelt zu stoßen. Statt noch mehr Gefängnisse mit noch mehr Kleinkriminellen zu füllen, sollten diese Instrumente ausgeweitet und besser genutzt werden. Gleichzeitig zeigt die angesprochene Studie, dass nicht nur im Jugend-, sondern im gesamten Strafvollzug Handlungsbedarf besteht. Gewalt darf auch im Erwachsenvollzug nicht "Haftalltag" sein.

In diesem Gesamtzusammenhang darf auch die soziale Dimension der Strafrechtspflege nicht in Vergessenheit geraten: Erst in jüngster Zeit hat ein prominenter Strafverteidiger vor der Zwei-Klassenjustiz gewarnt, die dadurch drohe, dass bessergestellte Verdächtige oder Angeklagte unvergleichlich bessere Chancen hätten, sich vor behördlichen Fehlern und Vorverurteilungen zu schützen, das Gros der Angeklagten dies nicht könnten. Diese Warnungen sind ernst zu nehmen und erfordern zusätzliche Mittel für einen wirksamen Rechtsschutz auch im Bereich des Strafrechts. Neben dem materiellen Strafrecht, für das die Ministerin eine Reform mit unbekannter Zielrichtung in Aussicht gestellt hat, gibt es eine Fülle von Baustellen im Bereich Strafrecht und Strafvollzug. Die Zielrichtung der Politik sollte eine mutige Reform im Sinne der Rechtsstaatlichkeit, der Prävention und Sicherheit sein. Mit dem angekündigten Paket ist es daher auch noch lange nicht getan. (Wolfgang Moitzi, Hannes Jarolim derStandard.at, 15.7.2013)