Setzt auf bunte Verkleidungen, Akrobatik und Erotik: "Twerk" von François Chaignaud und Cecilia Bengolea, zum Abschluss der Sommerszene Salzburg präsentiert.

Foto: Jean-Marie Legros

Salzburg/Wien - Die Unterschiede zwischen den beiden Choreografenpaaren Anne Teresa De Keersmaeker und Boris Charmatz sowie Cecilia Bengolea und François Chaignaud machen klar, wohin sich der Tanz in den vergangenen dreißig Jahren entwickelt hat. De Keersmaeker und Charmatz füllten gerade bei Impulstanz das Burgtheater mit ihrem Duett Partita 2. Und Chaignaud/Bengolea begeisterten im Salzburger Republic zum Finale des Sommerszene-Festivals mit altered natives' Say Yes To Another Excess - Twerk.

Partita 2 lebt sowohl von einer exquisit sparsamen Ausstattung auf großer, leerer Bühne als auch von der Aura der Darsteller. De Keersmaeker und Charmatz tanzen, und die Violinistin Amandine Beyer spielt live Bachs Partita Nr. 2 d-Moll BWV 1004. Deren erste Teile werden von Beyer über fünfzehn Minuten hinweg auf unbeleuchteter Bühne gegeigt. Es folgt ein Tanzduett in Stille. Im dritten Teil der Choreografie, die mit der berühmten Chaconne schließt, bewegen sich die beiden Tänzer um die Musikerin herum. Hier zeigt sich - gerade in ihrer Verbindung von Vergangenheit und Gegenwart - Hochkultur vom Feinsten.

Popkultur vom Besten tanzen François Chaignaud und Cecilia Bengolea zusammen mit Alex Mugler, Élisa Yvelin und Ana Pi zur Musik der Grime-Größen Elijah & Skilliam aus London, die das Label Butterz bilden. Die Ausstattung der Bühne ist auch hier bei Twerk minimal. Ein über den Köpfen der Tänzer schwebendes, bis in den Publikumsraum reichendes Lichtobjekt und einige Bodenbeschriftungen reichen aus. Die beiden DJs sind ebenfalls live auf der Bühne dabei, und der Tanz verbindet Stile der alten Moderne und frische Pop-Formen.

Bachs Partita No. 2 ist in Tänze - von Allemande bis Chaconne - eingeteilt, und Butterz spielen Club- und Dancehall-Musik, zu der es sich von Twerk bis Grind hervorragend tanzen lässt. Diese strukturellen Ähnlichkeiten zwischen beiden Stücken lassen deren politische Gegensätze umso plastischer hervortreten. De Keersmaeker und Charmatz halten sich in einer Upper-Class-Ästhetik auf, während Chaignaud und Bengolea die aktuelle Entertainment-Kultur des "Underground" der ärmeren Schichten verarbeiten. Dort werden Gesellschaftsnormen aufgemischt und Sozialspannungen reflektiert.

Twerk kommt in bunten Verkleidungen und mit satter Erotik daher. Es gibt keine kritischen Appelle an das Publikum. Vielmehr wird dieses vor sich vollendende Tatsachen gestellt. Denn Chaignaud und Bengolea sind bereits Teile einer Kultur, die nichts mehr mit den Konservativismen der vorherrschenden politischen Leitsysteme zu tun hat.

Vergeblichkeit der Kritik

Dieser Wechsel gilt als Krise der Kritik. Zu Recht. Denn nach der Vergeblichkeit aller bisherigen Kritik wird jetzt gehandelt und aus den gegebenen Verhältnissen ausgebrochen. Der Weg dahin zeichnet sich auch im Tanz seit Anfang der 1980er ab, wie die Laufbahnen der vier Protagonisten von Partita 2 und Twerk zeigen.

Die Belgierin Anne Teresa De Keersmaeker ist eine Schlüsselfigur der Eighties. Mit ihren ersten Werken ab 1982 setzte die damals 22-Jährige dem Modern Dance à la Merce Cunningham, dem modernistischen Ballett eines Maurice Béjart und dem von Pina Bausch definierten Tanztheater eine Ästhetik entgegen, die in Europa neu war. Über Steve Reichs musikalischen Minimalismus und Lucinda Childs' Wendung von der performativen zur bewegungsorientierten Tanz-Postmoderne positionierte sie sich mit einer Klarheit und Virtuosität als Choreografin starker Frauenpräsenzen auf der Tanzbühne.

Wie De Keersmaeker war auch Boris Chamatz früh erfolgreich. Als er 1993 mit seinem ersten Stück À bras le corps in Frankreich Aufmerksamkeit erregte, zählte er gerade einmal 19 Lenze. Er wurde zu einer der Hauptfiguren der neuen Choreografie in den kritikbewussten Nineties - neben Persönlichkeiten wie Meg Stuart und Jérôme Bel, die diesen Sommer ebenfalls bei Impulstanz präsent sind. Die Nineties-Wende prägte auch François Chaignaud, der mit Charmatz zusammengearbeitet hat, und Cecilia Bengolea, deren Anfänge mit Größen der Zeit wie Mathilde Monnier und João Fiadeiro verbunden sind.

Chaignaud (30) und Bengolea (34) sind prototypisch für eine Entwicklung im Tanz der Nullerjahre, die aufeinanderfolgenden dominanten Strömungen ein Ende setzte. Bei Impulstanz zeigen sie neben Twerk auch (M)imosa, ihre Kooperation mit Trajal Harrell, und Chaignaud präsentiert im Volkstheater sein neues Solo Dumy Moyi.
(Helmut Ploebst, DER STANDARD, 15.7.2013)