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Lieben den regen Austausch in der Zusammenarbeit: Brian Mertes (li.) und Julian Crouch inszenieren den "Jedermann" mit Cornelius Obonya in der Titelrolle und Brigitte Hobmeier als seiner Buhlschaft.

Foto: APA/BARBARA GINDL

STANDARD: Wie geht es Jedermann?

Julian Crouch: Gut. Er ist noch am Leben, wir haben ihn noch nicht umgebracht.

Brian Mertes: Er wurde schon gerufen.

Crouch: Doch er weigert sich noch.

Mertes: Schließlich handelt das Stück ja auch vom Leben, nicht vom Sterben.

STANDARD: Immer wieder wird darüber diskutiert, ob das katholisch-moralische Stück noch zeitgemäß ist. Wie finden Sie's?

Crouch: Ich liebe es.

Mertes: Ich auch, vor allem die Reime. Es ist etwas Magisches an dieser Sprache: herausfordernd für unsere Ohren, aber großartig für Schauspieler, sie lebendig zu machen.

STANDARD: Für Ihre Ohren vermutlich noch ein bisschen herausfordernder. Haben Sie es auf Deutsch oder auf Englisch gelesen?

Mertes: Viele Übersetzungen. (lacht) Meine deutsche Aussprache ist schrecklich, ich spreche unentwegt Wörter falsch aus. Aber ich weiß genau, was wann gesagt wird. Ich verstehe den Sinn. Wenn ich der Sprache zuhöre, gleichgültig, ob Deutsch oder Englisch, höre ich auf unterschiedliche Klänge; auf das Verhältnis zwischen Konsonanten und Vokalen. Mich interessiert die Musikalität der Sprache.

Crouch: Es war nicht immer leicht, gleichzeitig ins Skript und auf die Bühne zu schauen. Wir haben sicherlich härter daran gearbeitet, als deutschsprachige Regisseure es gemusst hätten.

STANDARD: Im "Jedermann" geht es auch um Gottesfürchtigkeit. Sind Sie gläubig?

Mertes: Ich denke, in jedem Leben gibt es den Moment, in dem man realisiert, dass es eine höhere Macht gibt. Ich weiß, dass das Universum unendlich riesig ist und ich dagegen winzig bin. Aber dieses Wissen tröstet mich. Vielleicht gehe ich deshalb so gerne in die Berge: Ich genieße meine Kleinheit.

Crouch: Dem stimme ich zu. Ich glaube nicht an einen Gott, aber daran, dass wir alle Teil eines größeren Ganzen sind. Ich bin nicht katholisch, aber ich interessiere mich für Religionen und Mythen. Davon handelt das Stück. Die Themen, die es verhandelt, sind universell: Es ist die Geschichte von jemandem, der nicht viel Zeit darauf verwendete, in sich hineinzuhorchen. Doch dann ist er dazu gezwungen, muss es akzeptieren und schließlich sterben.

Mertes: Jedermann liebt Fantasien und Projekte. So gesehen ähnelt er uns sehr, auch wir sehnen uns stets nach neuen Projekten, sie geben unserem Leben Sinn. Wenn wir innehielten und darüber nachdächten, was wirklich mit uns los ist, würden wir vermutlich depressiv werden.

STANDARD: Sie interpretieren seine Lebenslust und Gier sehr positiv.

Crouch: Er heißt ja Jedermann. Everyman. Nicht Badman, Schlechtermann. Die Interpretation, er sei ein schlechter Mensch, ist katholisch. Aber er ist im Grunde nur wie wir alle.

Mertes: Wir arbeiten daran, ihn voller Leben und Liebe zu machen. Es gibt Augenblicke, da ist er ungemein liebenswürdig und höflich, dann wieder takt- und gedankenlos. Und dann gibt es Momente, wo er ein wenig grausam ist. Conny (Cornelius Obonya, Anm.) gelingt es großartig, jemanden zu verkörpern, in dem wir uns wiederentdecken, dem wir uns verwandt fühlen. Ich hoffe, dies wird die Erfahrung sein, wenn man das Stück sieht: "Ja, das bin ich. Ich habe genau solche Gedanken gehabt." Es wäre schön, wenn es uns gelänge, dass man einen Augenblick innehält, um über sich und sein Verhältnis zu anderen Menschen nachzudenken.

Crouch: Wenn von Anfang an feststeht, dass er ein schlechter Mensch ist, wäre es ein schlechtes und vor allem langweiliges Stück, das uns nichts zu sagen hätte. Man darf den Verlauf der Geschichte nicht abkürzen, nicht das Ende schon in der ersten Szene zeigen.

STANDARD: Wie viel von Ihren vorangegangenen Erfolgsstücken wie etwa "Shockheaded Peter" werden wir im "Jedermann" entdecken?

Mertes: Jedes Projekt ist für uns ganz spezifisch, beginnend damit, mit wem und vor allem wie man probt.

Crouch: Und das ist ziemlich kompliziert. Es haben ja die anderen auch schon vor der ersten Probe an dem Stück gearbeitet. Wir starten von unterschiedlichen Positionen und treffen uns dann doch irgendwo. Ich denke, die einzige Ähnlichkeit zu "Shockheaded Peter" ist, dass ich an Bildern mindestens ebenso interessiert bin wie am Text. Mich interessiert die Komposition aus Geschichte und Objekten. Da beginnen meine Träume. Ich lese das Skript. Aber ich träume Bilder.

Mertes: Ich betrachte den Text wie ein Objekt. Und versuche zu verstehen, in welcher Umgebung die Geschichte spielt. Dann überlege ich, wie sich Sprache und Raum ineinanderfügen. Dazu drehe und wende ich den Text, schaue, was unter und hinter der Oberfläche ist.

STANDARD: Wie schwierig ist es mit Ihren Ansprüchen, das Stück für In- und Outdoor zu konzipieren?

Crouch: Riesig! Man kann es ja nicht einfach von draußen nach drinnen transformieren oder umgekehrt. Aber diese Herausforderung dient der Sache, man muss fokussieren, vereinfachen, lernen, was wirklich wichtig ist. Das ist manchmal stressig, aber auch reinigend.

Mertes: Ich liebe es, Outdoor zu arbeiten. Zuletzt habe ich all meine Projekte zumindest einmal im Freien gespielt. Jetzt war ich schon froh, als wir endlich am Domplatz proben konnten. Wir mussten ja ziemlich lange eher theoretisch arbeiten. Am Platz wussten wir: Ja, genau so muss es passieren.

STANDARD: Ist es schwierig, im Doppel zu inszenieren?

Crouch: Ja und nein. Ich habe kaum etwas allein inszeniert. Das wird von außen immer wieder infrage gestellt, nach dem Motto: Auf jedem Schiff kann es nur einen Kapitän geben. Aber Theater ist kein Schiff, sondern eine Familie. Die besteht idealerweise aus zwei Elternteilen. Dass nur der Vater oder die Mutter sagen darf, was in einer Familie passiert, würden wir doch für völlig inadäquat halten. Bei zwei Regisseuren weiß man wenigstens von Anfang an, dass vieles verhandelt wird und auch werden darf. Wenn wir uns einigen, etwas erkennen, gibt es jedes Mal eine Art Energiekick fürs Projekt. Es gibt ja viel mehr Menschen als uns, die Entscheidungen treffen ...

Mertes: ... Wir haben Regisseure, die spielen oder Schauspieler, die mit uns Regie führen. Theater ist wirklich Zusammenarbeit, der Schlüssel ist ein reger Austausch. Sonst wird die Geschichte nie lebendig. Und genau darum geht es doch auch im "Jedermann": wie man ein richtiges, ein gutes, ein kreatives Leben führt. (Andrea Schurian, DER STANDARD, 15.7.2013)