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Der Anschlag in Muqdadiyah, 90 km nördlich von Bagdad, am Freitag: Insgesamt starben an dem Tag im Irak 49 Menschen bei Attentaten, am Tag zuvor waren es 59.

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Bagdad/Wien - Im Irak steigen die Totenzahlen wieder auf Konfliktniveau: Mindestens 371 Todesopfer durch Anschläge von Monatsbeginn bis Samstag, das lässt befürchten, dass im Juli die Ziffer tausend wieder überschritten wird. Zwar konnten im Juni die - im Mai wegen der Sicherheitslage abgesagten - Provinz-Nachwahlen in Niniveh und Anbar abgehalten werden, und in einigen Bereichen organisiert sich die Zivilgesellschaft gegen die zunehmende konfessionelle Gewalt. Aber jene Kräfte, die einen Bürgerkrieg anzetteln wollen, scheinen im Moment die Oberhand zu gewinnen.

Die Situation erinnert fatal an die Zeit vor dem Bürgerkrieg 2006: Großattentate extremistischer sunnitischer Jihadisten gegen Schiiten, gewaltbereite Gruppen unter den Schiiten, die gezielt Sunniten umbringen - und als Umfeld eine schiitisch dominierte Regierung, die von den Sunniten als diskriminierend wahrgenommen wird, und religiöse Schiiten, die ein sunnitisches Komplott von außen wittern, das sie, die Mehrheit, von der legitim errungenen Macht drängen soll.

Dazu kommt noch der Bürgerkrieg in Syrien, in dem sich die irakischen radikalen konfessionellen Gruppen auch physisch gegenüberstehen.

Die Attentate richten sich im Ramadan zunehmend gegen religiöse Einrichtungen, am Samstag war eine sunnitische Moschee in Bagdad das Ziel. Die steigende Gewalt zieht bereits das tägliche Leben wieder in Mitleidenschaft: In Kirkuk etwa wurde eine Lokalsperre verhängt, dort kamen am Freitag an die 40 Personen bei einem Anschlag ums Leben.

Schon seit Mai ist eine Zunahme der Attentate durch Autobomben zu verzeichnen. Dass am 20. Mai gleichzeitig elf solche gegen schiitische Ziele gerichtete Bomben im ganzen Irak (mit Ausnahme der Kurdengebiete) explodierten, zeigt einen hohen Organisationsgrad der Täter.

Der radikale schiitische Sektor antwortet, wie schon 2006, ebenfalls mit seiner Organisierung: Das bedeutet eine Rückkehr der Patrouillen der Schiitenmilizen und "falschen Checkpoints", die eben nicht von irakischen Sicherheitskräften, sondern von Milizen aufgebaut werden. Die Mordrate steigt, meist, aber nicht immer sind Sunniten die Opfer: Die radikalen Schiiten haben auch nichtreligiöse Schiiten in ihren Vierteln im Visier, etwa Inhaber von Geschäften, die Alkohol verkaufen, oder deren Kunden.

Nachdem Muktada al-Sadr, der Gründer der im Bürgerkrieg berüchtigten Mahdi-Armee (Jeish al-Mahdi, Jam), sich von früheren Methoden losgesagt hat, steht eine Jam-Splittergruppe im Vordergrund: die Asa'ib Ahl al-Haqq (AAH). Die AAH hat Verbindungen zur iranischen Quds-Armee und soll auch von dort finanziert werden. Die AAH tritt ganz offiziell auf - so hielt sie Anfang Mai eine Großveranstaltung in einem Stadion in Bagdad ab, bei dem auch Parlamentsabgeordnete zugegen waren. Ihr Anführer, Qais al-Khazali, positioniert sich auf der Achse des "Widerstands" zwischen Iran, Syrien und Hisbollah. Dass Khazali so offen agieren kann, zeigt laut einer Studie des "Institute of the Study of War", dass er einen gewissen Stand bei Premier Nuri al-Maliki hat: Der kann ihn als Gegenwicht zu Muktada al-Sadr, der sich immer wieder auf die Seite der Maliki-Gegner schlägt, gut gebrauchen.

Sadr hat im Mai einen Aufruf des Chefs der schiitischen Hisbollah, Hassan Nasrallah, die irakischen Schiiten müssten sich dem Krieg in Syrien auf Regimeseite anschließen, zurückgewiesen. Die AAH ist hingegen, affiliiert mit der Abu-al-Fadil-al-Abbas-Brigade (AFAB), in Damaskus präsent, um den Sayyida-Zaynab-Schrein vor radikalen Sunniten zu schützen.

Mukhtar, Rächer der Schiiten

Auch die schiitische Mukhtar-Miliz, die erst zu Jahresbeginn von einem Kommandanten der irakischen Hisbollah gegründet wurde, hängt an der iranischen Leine und macht in Syrien mit: Sie bezieht sich auf die historische Figur des Al-Mukhtar al-Thaqafi aus Kufa, der 686, nach dem gewaltsamen Tod von Hussein, gegen das sunnitische Kalifat rebellierte. Wa-thiq al-Battat, der Gründer, spielt sich ebenfalls als Rächer der Schiiten auf. Im Frühjahr wurde die Gruppe in Beziehung zu Flugblattaktionen gebracht, auf denen die wenigen sunnitischen Einwohner eines vorwiegend schiitischen Viertels in Bagdad zum Verlassen aufgefordert wurden.

Es gibt aber immer wieder vereinzelte Versuche, dem konfessionellen Wahnsinn zu entkommen: So haben sunnitische und schiitische Stämme in Anbar und in Kerbala eine gemeinsame Miliz aufgestellt, die die Umtriebe von Jihadisten in der Al-Nukhaib-Wüste zwischen den beiden Provinzen eindämmen soll. Die Operation heißt "Irakisches Blut ist ein und dasselbe". (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 15.7.2013)