Bild nicht mehr verfügbar.

Ähnlich wie in Ägypten sorgt auch in Tunesien die triste Wirtschaftslage für Unmut. Im Bild ein Büro des Verbandes arbeitsloser Diplomierter.

Foto: AP Photo/Ons Abid)

Tunis/Madrid - "Das Regime der Muslimbrüder in Ägypten gestürzt. Das Volk jubelt", titelte die größte arabofone Tageszeitung Tunesiens am Tag nach der Absetzung des ägyptischen Präsidenten Mohammed Morsi. "Die Pharaonen lassen die Adler aus Karthago hinter sich", bedient sich die frankofone Le Temps einer Metapher aus dem afrikanischen Fußball. Am 14. Jänner 2011 legte Tunesien mit dem Sturz des Diktators Zine El Abidine Ben Ali vor. Die Ägypter folgten mit der Entmachtung Hosni Mubaraks. Jetzt nach dem Sturz des Islamisten Morsi stehe es 2:1 für die "Pharaonen".

"Wird Tunesien der Ansteckungsgefahr entkommen?", fragt La Presse, wohl wissend, dass sich viele eine zweite Revolution wünschen. Erstmals seit den Protesten, die zum Sturz Ben Alis führten, meldet sich die Jugend wieder zu Wort. Wie in Ägypten heißt das Bündnis gegen die islamistische Ennahda, die zusammen mit zwei kleinen säkularen Parteien das Land regiert, Tamarod (Rebellion). Und auch in Tunesien sammelt die Bewegung nun Unterschriften für die Auflösung der Regierung. Außerdem fordert sie die Bildung eines Übergangsparlaments, das zügig die Arbeit an der Verfassung fertigstellen soll.

"Wir sind mit dem, was im Land passiert, unzufrieden: die Angriffe auf die Freiheiten, die schlechte Wirtschaft und die soziale Situation", erklärt Tamarod-Sprecher Mohammed Bennour. Knapp eine Million Unterschriften - bei rund elf Millionen Einwohnern - will Tamarod schon gesammelt haben. Die Bewegung will zwei Millionen sammeln und dann zu Großdemonstrationen aufrufen.

Viel Zeit verloren

Auch für die restliche säkulare Opposition fehlt der Regierung jegliche Legitimität. Denn als die Tunesier 2011 die ersten freien Wahlen ihrer Geschichte abhielten, war klar, dass Regierung und Parlament nur ein Jahr im Amt bleiben sollten. In dieser Zeit sollte eine Verfassung erarbeitet und Neuwahlen vorbereitet werden.

Bis heute ist das nicht geschehen. Zu viel Zeit verlor das Parlament im Streit um - letztlich gescheiterte - Vorschläge, Religion und Scharia im Verfassungstext zu verankern. Ennahda nutzte die Zeit, um Staat und Gesellschaft umzubauen. Fernsehen, staatliche Unternehmen, Polizei und selbst Armee sind weitgehend in den Händen der Islamisten.

Seit dem Sturz Ben Alis verschärft sich die Wirtschaftskrise. Ausländische Firmen drosseln ihre Investitionen, der Tourismus geht zurück, die Arbeitslosigkeit steigt. Im Landesinneren, von wo einst die Proteste gegen Ben Ali ausgingen, nimmt die Armut zu. Immer wieder kommt es zu massiven Protesten, zuletzt nach der Ermordung des linken Oppositionspolitikers Chokri Belaid. Die Opposition sieht hinter der bis heute ungeklärten Tat die lange Hand von Ennahda.

"Wir wünschen uns nicht die gleiche Situation wie in Ägypten, aber die gleichen Ursachen führen zu den gleichen Auswirkungen", warnt Béji Caid Essebsi, Chef der säkularen Zentrumspartei Nida Tounes und Chef der Übergangsregierung von 2011. Die erst später gegründete Formation liegt in Umfragen deutlich vor Ennahda. Ähnlich wie Tamarod und die mächtige Gewerkschaft UGTT verlangt sie "die Auflösung der Regierung und die Bildung eines Kabinetts der nationalen Rettung".

Aufseiten der Regierung ist die Nervosität zu spüren. "Die Putschisten in Ägypten und Tunesien haben sich entlarvt", wettert Hamid Jebali, Generalsekretär der Ennahda, gegen die Opposition, während der Parteivorsitzende und Gründer von Ennahda, Rachid Ghannouchi, versucht zu beschwichtigen: "Bestimmte Jugendliche glauben, sie könnten das in Tunesien wiederholen, was in Ägypten passiert ist." Das sei ein sinnloses Unterfangen "Wir brauchen keinen Staatsstreich, um zu wissen, dass wir den Übergangsprozess beschleunigen müssen", sagt er in einem Interview. (Reiner Wandler, DER STANDARD, 13./14.7.2013)