Selten kann man dem Staat vorwerfen, er würde zu wenig regulieren. Ob Ladenöffnung, Vorschriften für Arbeitsplätze oder Zahl und Position der Reflektoren an Fahrrädern - die Zahl der gesetzlich einzuhaltenden Bestimmungen geht mathematisch gesehen gegen unendlich. Verdächtig enthaltsam ist der Staat mit solchen Regeln hingegen dort, wo die Lebensbedingungen von Menschen davon entscheidend abhängen: bei sozialen Diensten und wie sie zu erbringen sind.

Hier herrscht ein schlampiges Verhältnis zwischen der öffentlichen Hand (von Bund, Ländern und Gemeinden bis zu diversen Körperschaften) und den - meist gemeinnützigen - Organisationen, die solche Dienste im öffentlichen Auftrag leisten. Ob in der Hauskrankenpflege oder bei Wohnstätten für behinderte Menschen, der Obdachlosenhilfe, Asylbetreuung oder in Frauenhäusern, es gibt keine Qualitätsstandards, die verbindlich anzuwenden wären und die kontrolliert werden können.

Für den Staat ist das bequem, denn er entzieht sich damit der finanziellen Verpflichtung, ohne für schlechte Zustände verantwortlich gemacht zu werden. Das Bummerl haben immer die Vereine, die sich nach der engen finanziellen Decke strecken müssen. Obendrein erlaubt das Fehlen von Qualitätsstandards dem Staat, sich nach billigeren - auch kommerziellen - Anbietern umzusehen, da das Ergebnis dieser Art von Wettbewerb qualitativ nicht zu beurteilen ist.

Gerade vor dem Hintergrund der Öffnung solcher Dienste für gewinnorientierte Anbieter sind Qualitätsstandards und ihre Kontrolle zentral: Sie sind das einzige Mittel, damit offen diskutiert werden kann, worauf Konsumenten sozialer Dienste rechtlichen Anspruch haben - und welche Qualität sie allenfalls einklagen können. (DER STANDARD Print-Ausgabe, 28.7.2003)