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Wie wird das Ausmaß von Demütigungen bemessen? Eine Grazer Forschergruppe befasst sich mit Aspekten der Menschenrechte und ihrer Verletzung.

Foto: Reuters/ Kalnins

Für den niederösterreichischen Diskobetreiber war es vielleicht eine kleine Lektion in Sachen "Gleichbehandlung", als ihm im Jänner 2010 die richterliche Aufforderung zur Zahlung von 1440 Euro Schadenersatz zugestellt wurde. Erfolgreicher Kläger war ein junger Nordafrikaner, dem aufgrund seines fremdländischen Aussehens zweimal der Eintritt in das Lokal verweigert wurde.

Die Höhe des Schadensersatzes, so die rechtliche Begründung, habe "der Dauer der erlittenen Demütigung, der Schwere der Würdeverletzung und einer zu erzielenden abschreckenden Wirkung angemessen zu sein". Sind 720 Euro für eine zweifache Demütigung angemessen? Immerhin ist eine Diskriminierung aufgrund der ethnischen Zugehörigkeit seit dem Jahr 2000 zumindest strafbar.

Wie aber wird das Ausmaß einer Demütigung bemessen? Was ist, wenn sich die Demütigung aus mehreren Quellen speist? Wenn der Betroffene zum Beispiel nicht nur wegen seiner ethnischen Herkunft, sondern auch aufgrund seines Geschlechts (wenn "weiße" Männer und "schwarze" Frauen durchaus in die Disko dürfen, wie in der Praxis vorgekommen), wegen einer Behinderung und seines Alters benachteiligt wird? Verschärft sich dann "die Schwere der Würdeverletzung" mit der Anzahl der Diskriminierungskategorien?

"Hier kommt es zu einer Verflechtung mehrerer negativer Zuschreibungen, die sinnvoll nicht aufgelöst werden kann und für die man den Begriff der 'intersektionellen Diskriminierung' geprägt hat", erläutert die Zeithistorikerin Karin Schmidlechner. Am European Training and Research Centre for Human Rights and Democracy (ETC) in Graz befasst sie sich seit Jahren mit unterschiedlichen Aspekten der Menschenrechte und ihrer Verletzung.

Vernachlässigtes Phänomen

Nun erforscht sie in einem vom Wissenschaftsfonds FWF finanzierten Projekt mit einem interdisziplinären Team das ebenso folgenschwere wie rechtlich und wissenschaftlich bisher vernachlässigte Phänomen der intersektionellen Diskriminierung. Geprägt hat diesen Begriff die amerikanische Juristin Kimberlé Crenshaw im Zuge der Massenkündigung schwarzer Arbeiterinnen beim US-Autobauer General Motors Ende der 1980er-Jahre. Die Frauen konnten das Unternehmen weder wegen rassistischer noch wegen geschlechtsspezifischer Diskriminierung klagen, da schwarze männliche Arbeiter und weiße Arbeiterinnen nicht gekündigt wurden. Die Diskriminierung ergab sich also erst durch die Verbindung von Hautfarbe und Geschlecht.

Eine vergleichbare Problematik hat man etwa auch bei einer kopftuchtragenden Migrantin. Auch hier sind Religionszugehörigkeit und Geschlecht nicht trennbar - und das hat rechtliche Konsequenzen: Wird eine solche Person zum Beispiel bei der Wohnungssuche schlechter behandelt als andere Gruppen, kann sie nur wegen Diskriminierung aufgrund des Geschlechts klagen, denn religiöse Diskriminierung ist außerhalb der Arbeitswelt nicht erfasst. "Hier gelten nur zwei Diskriminierungsgründe, und das sind Rassismus und Sexismus", erläutert Projektmitarbeiter Klaus Starl. "Beide Diskriminierungstatbestände, die schließlich zu den negativen Folgen führen, können nicht auf einmal geklagt werden."

Generell sei die Problematik der intersektionellen Diskriminierung in der Rechtsprechung noch nicht richtig angekommen, entsprechende Fälle werden kaum erkannt und noch seltener als solche dokumentiert. "Meist sucht man eine außergerichtliche Lösung", weiß Starl nach Durchsicht zahlloser Entscheidungen nationaler, internationaler und regionaler Gerichte und Komitees.

Wie aber kann diese Problematik rechtlich sinnvoll gelöst werden? Indem man die einzelnen Diskriminierungsbereiche addiert und so die Höhe des Schmerzensgeldes ermittelt? So einfach funktioniert die Sache natürlich nicht. "Wir vertreten einen holistischen Ansatz, der über die Gliederung in einzelne Kategorien der Diskriminierung hinausgeht", sagt Schmidlechner. Sie ergänzt: "Es steht also nicht die Kategorie der Diskriminierung im Vordergrund, sondern die Frage, warum diskriminiert wurde? Oft geht es dabei um ein Zusammenwirken von struktureller und persönlicher Diskriminierung, das es zu erfassen gilt."

Weg voller Hürden

Für ihre Untersuchung haben die Forscher Tiefeninterviews mit 23 Experten vor allem aus Beratungseinrichtungen und dem Rechtsbereich sowie mit 42 Betroffenen geführt. An Letztere heranzukommen war nicht einfach, da zum einen das Bewusstsein in puncto Mehrfachdiskriminierung noch kaum vorhanden sei, zum anderen aus Scham darüber nur ungern gesprochen werde.

"Gerade mehrfach diskriminierte Menschen wollen sich nicht immer als arme Opfer sehen", wissen die Projektmitarbeiterinnen Isabella Meier und Simone Philipp. Entschließt sich ein Betroffener dennoch, sein Recht auf gleiche Behandlung einzuklagen, hat er einen Weg voller Hürden vor sich, der selten erfolgreich endet. Falls doch, gibt es als Entschädigung meist nur ein Taschengeld. Deshalb verlegen sich viele Betroffene eher auf alternative Abwehrstrategien: Entweder sie wenden sich direkt an den Beleidiger oder sie wechseln, wenn möglich, den Job. "Je komplexer die Diskriminierung ist, desto geringer werden allerdings die Bewegungsmöglichkeiten für die Betroffenen", sagt Starl.

Bestürzt waren die Forscher auch über die massive "Viktimisierungsangst" ihrer Interviewpartner: Denn viele Betroffene fürchteten, durch eine Klage noch mehr diskriminiert zu werden. Oft zu Recht, wie etliche Fälle belegen, in denen Diskriminierte nach einer Klage überhaupt keinen Job mehr in bestimmten Branchen fanden.

Obwohl die Arbeit der Forscher kürzlich zu einer Novellierung des Gleichbehandlungsgesetzes führte, wonach der Schadenersatz an eine multiple Diskriminierung angepasst werden muss, sei noch viel Aufklärung zu leisten - bei den Betroffenen, den Rechtspflegern, den Beratern und in der gesamten Bevölkerung. Deutliches Zeichen für ein ernsthaftes Bemühen wäre eine Anhebung der in Österreich noch sehr moderaten Strafen, sodass sie tatsächlich eine abschreckende Wirkung haben. (Doris Griesser, DER STANDARD, 10.7.2013)