Nikolaus Kowall: "Alfred Gusenbauer möchte der SPÖ zeigen, was man als erwachsener Mensch wirklich macht: die fette Kohle."

 

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Nikolaus Kowall, Vorsitzender der Sektion 8 der SPÖ Wien-Alsergrund, hat klare Vorstellungen, wie die SPÖ in der nächsten Legislaturperiode regieren sollte: "Auf Hochrisiko". Er würde "alles, was irgendwie machbar ist, auf Teufel komm raus umsetzen". Mit derStandard.at sprach Kowall darüber, warum er selbst nicht im Nationalrat sitzen will, über den modernen Klassenkampf und die "gekaufte Meinung" des "Meinungssöldners" Alfred Gusenbauer.

derStandard.at: Es heißt, Sie hatten das Angebot, für die Nationalratswahl einen Vorzugstimmenwahlkampf zu führen auf der Wiener Landesliste. Das haben Sie abgelehnt. Warum eigentlich?

Kowall: Unser Wahlversprechen wäre, dass wir die Linie der SPÖ verändern könnten. Das funktioniert aber nur dann, wenn es eine kritische Masse an Abgeordneten gibt, die eine Regierungsmehrheit gefährden könnten. Dann hat man die Macht, eine Parteilinie zu ändern. Aus meiner Sicht wird es im nächsten Nationalrat aber nicht genug Verbündete geben. An der Biografie des Josef Cap haben wir gesehen, wie eine Einzelperson, die schon einmal hehre Ziele hatte, von der politischen Maschinerie zerrieben wurde.

derStandard.at: Man könnte es aber auch darauf ankommen lassen und vor Ort im Nationalrat weitere Verbündete suchen.

Kowall: Man darf sich selbst nicht überschätzen. Ich kann vielleicht die eine oder andere Person in einem Gespräch überzeugen. Aber beim derzeitigen Stand der SPÖ ist es eher unwahrscheinlich, dass ich genügend Abgeordnete für einen kritischen Flügel gewinnen könnte.

derStandard.at: Das System ist schuld, und man muss sich unterwerfen?

Kowall: Es kommt auf die Kultur der jeweiligen Partei an. An der Bundesspitze haben wir das System Faymann. In diesem System dominiert die Machtlogik. Es gibt zwei Möglichkeiten, dass man dort Bedeutung gewinnt: entweder durch Hausmacht, davon kann bei der Sektion 8 keine Rede sein, oder durch absolute Loyalität.

derStandard.at: Manche unterstellen Ihnen, Sie engagieren sich einfach deshalb, weil Sie sich etablieren wollen.

Kowall: Das zeugt von einer völligen Unkenntnis des Systems Faymann. Zwei von meinen gefühlten 300 kritischen Aussagen haben schon genügt, dass uns das System niemals integrieren wird, weil wir nicht kontrollierbar sind. Das bisschen Glaubwürdigkeit, das ich habe, würde ich für das System Faymann nicht aufs Spiel setzen.

derStandard.at: Das Angebot, einen Vorzugstimmenwahlkampf zu führen, kam aus Wien. Also muss es jemanden geben, der ein Interesse hat, unbequeme Politiker in das "System Faymann" zu bringen.

Kowall: Es gibt sicher Leute, denen das gefallen würde, und wahrscheinlich mehr, als es zugeben würden.

derStandard.at: Macht kann ja auch sinnvoll eingesetzt werden. Wenn sich Faymann für die von der Sektion 8 geforderten Vermögenssteuern einsetzt, handelt er doch in Ihrem Sinn.

Kowall: Es gibt einen unmittelbaren Zusammenhang zwischen Macht und Mainstream. Wer sich der Machtlogik unterwirft, tut das, was der Mainstream sagt, um maximalen Rückhalt zu bekommen. Deshalb rücken die Parteien auch immer wieder mehr in die Mitte. Ich glaube, dass die Bundesspitze der SPÖ einen Linksruck vollzogen hat, weil sich der Wind gedreht hat. Das ist kein Handeln aus Überzeugung, sondern Handeln innerhalb der Machtlogik. In der Sektion 8 versuchen wir dem eine Überzeugungslogik gegenüberzustellen. Deshalb wird an der SPÖ-Spitze mit einer anderen Währung bezahlt als jener, mit der ich einkaufen gehe.

derStandard.at: Die SPÖ ist gegen die Wasserprivatisierung, für Vermögenssteuern und das günstige Wohnen. Reicht das der Sektion 8 noch nicht?

Kowall: Es gibt zwei Kernpunkte, die fehlen, damit die SPÖ so ist, wie es für die heutige Zeit notwendig wäre. Sie müsste klipp und klar das Mantra der Wettbewerbsfähigkeit aufgeben. Wettbewerb ist etwas für die Unternehmen. Die Staaten müssen aufhören, miteinander zu konkurrieren, etwa was die Löhne betrifft. Der zweite Punkt ist, dass Leistung  nicht an der Höhe des Markteinkommens gemessen werden kann. Leistungsträger sind nicht automatisch jene, die viel Geld verdienen. Leistungsträger sind Leute, die wichtige Aufgaben in ihrem Job erfüllen. Durch ein solches Verständnis von Leistung soll die Verhandlungsposition der Arbeitnehmer gestärkt werden.

derStandard.at: Vielleicht hätten Sie als Abgeordneter zu der von Ihnen geforderten Richtungsänderung etwas beitragen können.

Kowall: Ich bin derzeit nicht überzeugt davon, dass in der Politik-Politik substanzielle Änderungen möglich sind. Es gibt ja auch den Zugang, dass der politische Betrieb nicht mehr fähig ist, neue Ideen hervorzubringen, und es wichtiger ist, auf den Zeitgeist Einfluss zu nehmen, also darauf, welche Ideen in der Gesellschaft gedacht werden. Die Politik führt dann idealerweise operativ aus, was gerade Mainstream ist. Diese Strategie ist zum Beispiel im Rahmen der neoliberalen Revolution gelungen, Parteien aller Couleurs haben 20 Jahre lang neoliberale Politik gemacht. Der andere Zugang ist zu sagen: In einer Demokratie muss es möglich sein, dass die Politik noch Innovationen hervorbringt. Und man muss dafür kämpfen, dass es in der Politik mehr Überzeugungstäter gibt, die genau das versuchen. Aber solange ich nicht sicher bin, ob die etablierte Politik wirklich etwas bringt, halte ich mich von ihr fern.

derStandard.at: Gut, dann überlässt man den Nationalrat dem politischen Establishment und kommt, wenn die Zeit reif ist. Das ist die Lösung?

Kowall: Wir sind ja trotzdem politisch aktiv und versuchen, die Politik zu beeinflussen.

derStandard.at: Der Nationalrat ist aber ein Machtzentrum.

Kowall: Das ist meine persönliche Sichtweise. Jede andere Person wird ihren eigenen Weg wählen.

derStandard.at: Sie haben im Bezirk Alsergrund als Vizeparteichef kandidiert, sind dann aber in der Abstimmung unterlegen. Diese Funktion wäre nicht zu etabliert?

Kowall: Ich habe dem Bezirk das Angebot gemacht, dass wir Innovationen aus der Sektion 8, auch im Bezirk Alsergrund einbringen. Außerdem hätte die Funktion bessere Chancen gebracht, unsere Anträge  durchzubringen. Nachdem ich mich gegen den großen Nationalrat entschieden hatte, haben wir uns entschlossen, diese kleinere ehrenamtliche Funktion auf Bezirksebene anzustreben. Weil das Leben aber nicht planbar ist, hat das Kleine nicht funktioniert.

derStandard.at: Ist die Sektion 8 vielleicht zu abgehoben, zu theoretisch?

Kowall: Einerseits sind Profipolitiker im Vorteil. Wir arbeiten ehrenamtlich. Andererseits ist alles, was wir machen, sehr ungewöhnlich. Das stößt nicht überall auf Begeisterung. Vielleicht haben wir das nicht mit dem richtigen Tempo gemacht.

derStandard.at: Sie sind einer der wenigen Sozialdemokraten, die dafür eintreten, den Klassenkampf wieder aufzunehmen. Wer soll genau gegen wen kämpfen?

Kowall: Wir reden nicht von einem revolutionären Klassenkampf im Sinne des Marxismus im 19. Jahrhundert. Ich spreche von einem zeitgenössischen, demokratischen Klassenkampf. Die Existenzberechtigung der Sozialdemokratie ist, dass wir uns für eine Klasse einsetzten. Die Klasse ist der alte Begriff. Wir könnten auch von den "99 Prozent" oder von den Lohnabhängigen sprechen. Sie könnten viel mehr gewinnen, wenn sie gemeinsame Interessen entwickeln und versuchen, diese durchzusetzen. In unserer Wettbewerbsgesellschaft möchten viele Betroffene aber lieber die Kultur der Reichen kopieren.

derStandard.at: Die Reichen kopieren? Wie geht das?

Kowall: Das äußert sich in den Stars- und Sternchenmagazinen, die sie lesen, und in der Art und Weise, wie sie sich kleiden, oder in den Statussymbolen, die sie versuchen zu kopieren. Das äußert sich in den Zielen, die sie im Leben haben. Alle wollen ein Star werden. Michael Spindelegger hat gesagt, jeder kann ein Mateschitz werden. Jeder stimmt ja noch vielleicht, aber es können niemals alle sein. Mit der "The winner takes it all"-Politik muss Schluss sein. Wir sind da, um die Lebensverhältnisse für alle abzusichern.

derStandard.at: Wie wollen Sie mit Ihrer Idee die berühmte Billa-Kassiererin erreichen?

Kowall: Das ist die entscheidende Frage. Wir als Sektion 8 sind wahrscheinlich nicht die, die alles können müssen. Die Gewerkschaft wird sich überlegen müssen, wie man den weiblichen Dienstleistungssektor, der ganz schlecht organisiert ist, zu einer schlagkräftigen politischen Gruppe macht. Wir können gerne Zahlen, Fakten und Infos bereitstellen. Aber wir als Sektion 8 können nicht die Supermarktkassiererin organisieren.

derStandard.at: Hat die Gewerkschaft das verschlafen?

Kowall: Die Gewerkschaft ist gerade in einem Aufholprozess. Sowohl was den weiblichen Dienstleistungssektor als auch was die prekären Beschäftigungsverhältnisse betrifft, hat sie aber noch Schwächen.

derStandard.at: Im September wird die Regierung neu gewählt. Eine rot-schwarze Koalition, geht das noch einmal?

Kowall: Ich würde beinhart sagen, die Konstellation, in der die meisten Inhalte umsetzbar sind, die muss man machen. Völlig egal, mit wem.

derStandard.at: Auch mit der FPÖ?

Kowall: Wenn mit der FPÖ eine Vermenschlichung der Asylgesetzgebung, eine vernünftige Integrationspolitik und eine vernünftige Kulturpolitik möglich wäre, dann wäre mir das im Prinzip "wurscht". In der Realität werden wir uns nicht mit der FPÖ einigen können. Prinzipiell sollte man einfach darauf fokussieren, mit wem man am meisten von seiner Programmatik durchsetzen kann. Das sollte die SPÖ einfach durchziehen. Sollte man in einer Minderheitsregierung das Budget nur mit der FPÖ beschließen können, wäre mir auch das recht. Bei einer Regierungsbeteiligung läge meine Priorität nicht darauf, dass wir wiedergewählt werden. Ich würde alles, was irgendwie machbar ist, auf Teufel komm raus umsetzen. Es müsste auf Hochrisiko regiert werden.

derStandard.at: Wir haben zu Beginn darüber gesprochen, was aus dem Vorzugsstimmenwahlkämpfer Josef Cap geworden ist. Sprechern wir noch über Alfred Gusenbauer, der unter anderem beim Glücksspielkonzern Novomatic anheuert. Was sagen Sie als Gegner des kleinen Glücksspiels dazu?

Kowall: Bei Gusenbauer ist wichtig, dass er als das gesehen wird, was er ist. Er ist ein Lobbyist, der dafür bezahlt wird, dass er verschiedene Interessen vertritt. Er ist ein Meinungssöldner, und als solcher sollte er absolut kein Gehör mehr von irgendjemand aus der SPÖ bekommen. Denn: Alfred Gusenbauers Meinung ist gekauft.

derStandard.at: Sitzen mehrere potenzielle Gusenbauers in den oberen Riegen der SPÖ? Ein Auswuchs des Systems, das sie kritisieren?

Kowall: Denken wir Cap und Gusenbauer zusammen. Das sind Leute, die in den 70er Jahren ideologische Überzeugungen hatten. Sie dachten, wir werden von der sozialen Demokratie in den Sozialismus übergehen. Sie haben sich mit den kleinen sozialdemokratischen Alltagsfragen nicht beschäftigt, sondern sie haben sich für die großen Würfe der Gesellschaft interessiert. Als sie in den politischen Apparat kamen, kam die neoliberale Wende. Ihr ideologisches Fundament war auf einmal wertlos. So hat sich bei beiden ein gewisser Opportunismus entwickelt. Was sie jetzt machen, ist eine Charakterfrage. Josef Cap ist der Einpeitscher im Parlamentsklub, aber er ist zumindest noch für die öffentliche Sache tätig. Und Alfred Gusenbauer möchte der SPÖ zeigen, was man als erwachsener Mensch wirklich macht: die fette Kohle. (Katrin Burgstaller, derStandard.at, 9.7.2013)