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Edward Snowden deckte die Aktivitäten des US-amerikanischen Geheimdienstes NSA und anderer, etwa französischer Geheimdienste auf. Diese sind geeignet, die Europäische Menschenrechtskonvention außer Kraft zu setzen.

Foto: REUTERS/Glenn Greenwald/Laura Poitras/Courtesy of The Guardian/Handout

Das Recht auf Achtung des Privatlebens. Das Recht auf Achtung des persönlichen Briefverkehrs. Das Recht, Nachrichten ohne Eingriffe von Behörden mitzuteilen und zu empfangen. Das Recht, sich zu versammeln und mit anderen zusammenzuschließen.

Diese Rechte laut Europäischer Menschenrechtskonvention drängen sich als Kontrastprogramm auf, wenn man sich mit den Aufdeckungen des Ex-US-Geheimdienstmitarbeiters Edward Snowden beschäftigt: Mit den Inhalten der Affäre, wohlgemerkt, also über das derzeit populäre, für Snowden selbst aber todernste Snowden-Suchspiel hinausgehend, dessen Ablenkungscharakter in derStandard.at bereits herausgestrichen wurde.

Denn die aufgedeckten Aktivitäten des US-amerikanischen Geheimdienstes NSA und anderer, etwa französischer Geheimdienste sind geeignet, diese Rechte außer Kraft zu setzen. Die Überwachung des Mailverkehrs und anderer Internetaktivitäten durch das Prism-Programm und seine Pendants in Europa (oder sonst wo) dürfte allumfassend sein, ja, sogar in Echtzeit stattfinden: Eine Überwachung durch technologische Ausspähprogramme, die die erlaubten Einschränkungen erwähnter Rechte überschreitet.

Im Namen der Sicherheit

Derlei Einschränkungen darf es laut Europäischer Menschenrechtskonvention etwa im Interesse der öffentlichen und nationalen Sicherheit, der Aufrechterhaltung der Ordnung und der Verbrechensverhütung geben. Wenn präventiv alle Kommunikationskanäle ausgespäht werden, wie es jetzt offenbar geschieht, geht das über diese Zwecke aber weit hinaus.

KennerInnen der Arbeit von Geheimdiensten werden jetzt einwenden, es sei naiv anzunehmen, dass eine solche Überwachung nicht stattfindet. Denn die technischen Möglichkeiten gebe es eben, und die Aufgabe von Geheimdiensten sei schon einmal das Ausspähen. Letzteres wurde in den vergangenen Tagen von einer Reihe ExpertInnen betont. Manch eine dieser Wortmeldungen ließ um den Datenschutz besorgten Menschen fast als altmodische IdealistInnen erscheinen: die neue Zeit setze sich über derlei Kleinigkeiten hinweg, da sei nichts zu machen.

Dem ist laut zu widersprechen: Es ist, mit Verlaub, ein großer Unterschied ob, wie im 19. Jahrhundert, Spitzel in Bürgerversammlungen ausschwärmten und der Briefverkehr in Postkutschen kontrolliert wurde, ob, wie im 20. Jahrhundert bis heute, Telefone verwanzt werden. Oder ob, wie etwa durch Prism, Handybesitzer flächendeckend gepeilt und, so sie ein Smartphone benutzen, dazu auch noch systematisch erhoben wird, welches Mail sie wo verfasst, welche Homepage sie wo aufgerufen haben.

Maschinen entscheiden

Ersteres geschah und geschieht gezielt, bei konkretem (oder konstruiertem) Verdacht. Letzteres passiert heute ungezielt - offenbar bei allen, die Handys benutzen, online sind und (in den USA) Briefe schreiben.  Dazu kommt, dass es heutzutage technische Systeme sind, die aus den präventiv gesammelten Datenlawinen verdächtiges Verhalten heraus sieben.

So erscheint es in Zukunft nicht ausgeschlossen, dass ein Polizeieinsatz auf Grundlage einer reinen Maschinenentscheidung stattfindet, wegen sogenannter verdächtiger Verhaltensmuster, erhoben in Auftrag eines Geheimdienstes. Wobei zum Beispiel häufige, kurze Telefongespräche als "typisches Verhalten" von DrogendealerInnen gelten können.

Denn auch wenn es "immer schon" so war: Dass Geheimdienste weltweit der öffentlichen Kontrolle nicht oder nur sehr am Rande unterworfen sind, ist vielmehr ein eklatanter Missstand. Beim derzeitigen Stand der technischen Überwachungsmöglichkeiten kann sich eine demokratische Gesellschaft das schlicht nicht mehr leisten. Eine neue Diskussion über demokratisch legitimierte Überwachungskontrolle ist überfällig. Die Beratungen des Europäischen Gerichtshofs zur Vorratsdatenspeicherung wären dazu am kommenden Dienstag ein guter erster Anlass. (Irene Brickner, derStandard.at, 6.7.2013)