Regisseur Peter Konwitschny, in der DDR sozialisiert, über Oper und die Lähmung durch den Zeitgeist: "Wir klären keine grundlegenden Fragen mehr. Darum wird nur noch gefeiert."

Foto: Christian Fischer

Wien - Der Großmeister, der allseits Gefeierte, der akribische Werkdeuter. Viel in Hamburg, viel in Graz, sonst weltweit tätig. Im Theater an der Wien inszeniert Peter Konwitschny nun doch: Verdi im Verdi-Jahr. Attila.

Auf dem schmalen Gang vor den Garderoben der erste Händedruck. Kariertes Hemd, helle Hose, höfliche Freundlichkeit, unterfüttert mit leiser Skepsis. Das muss man verstehen: der Regisseur in der Interview-Tretmühle. Alle wollen Konwitschny.

Und los geht's. Mit der Titelpartie. Attila, der Hunnenkönig: betritt die Szene wie ein Negativ-Superman. Aquileia liegt in Schutt und Asche. Herr Konwitschny, wie finden Sie Attila? "Ich finde, er ist die sympathischste Figur im Stück", sagt Konwitschny mit lapidarer Sachlichkeit. "Klar, geschichtlich ist er ein furchtbar brutaler Typ. Aber die Musik Verdis schildert ihn nicht so. Wirklich unsympathisch ist Ezio, der sein Mäntelchen dreimal wechselt: ein Intrigant. Er singt, dass er eigentlich nur unsterblich werden will, egal in welchem Krieg."

Einspruch. Kämpft der Feldherr Ezio nicht doch für die Ideale des Römischen Reiches, das durch eine unfähige Führung geschwächt ist? "Warum geht er dann zu Attila und bietet ihm die Aufteilung des Reiches an? Und warum geht er Minuten später zu Foresto und möchte was gegen Attila machen?" - Um den Kern des Römischen Reiches zu retten, Italien. - "Seh ich nicht so. Ich finde es auch nicht richtig, wenn man Verdi unterstellt, er habe mit diesem Werk einen Beitrag für die Einigung Italiens geschrieben."

Zur Musik: "Ich finde die Oper deswegen so toll, weil alles wie ein Comic ist. So übertrieben." Stimmt. Verdis Musik ist viril, oft auf eine fast parodistische Weise martialisch. "Und durch diese musikalische Überzeichnung", so der 68-Jährige weiter, "ist es auch eine Antikriegsoper. Die Leute, die nur Destruktion im Kopf haben, werden vorgeführt." - Wobei aber die ganze Kriegstreiberei doch von Attila herrührt. - "Find ich nicht. Der macht niemanden nieder in der ganzen Oper." - Aber die Oper beginnt damit, dass Aquileia von Attilas Truppen dem Erdboden gleichgemacht wurde. - "Aber da sind doch die Römer nicht besser gewesen davor, und die Amerikaner sind es auch nicht."

Anderes Thema: die Faszination des Barbarischen für den zivilisierten Menschen. "Deswegen meine ich ja auch, dass Verdi auf Seiten Attilas steht. Weil da eine Wehmut da ist, dass das Ganze durch Intrigen kleinkarierter Leute kaputtgeht. Im Sinne Brechts möchte ich darauf hinweisen, dass das Ganze verändert werden muss. Dass man solche Potenzen wie Attila integrieren kann. Wir fordern das Abschleifen aller Ecken und Kanten, und dann haben wir die angepassten braven Typen."

Von Brecht zu Guido Westerwelle: Der hat doch vor Jahren in seiner rabiaten Phase "spätrömische Dekadenz" in Deutschland beklagt. Sieht Konwitschny die auch? "Absolut. Auch in Österreich. Es geht ja nichts mehr vor und zurück, außer dass die steuerlichen Belastungen ein bisschen herumgeschoben werden. Von den grundlegenden Fragen ist nichts mehr zu klären. Das ist ein Endzustand. Da kann man dann nur noch feiern: noch schönere Events, Feuerwerke, all das. Da leben wir mittendrin. Gar kein schlechter Satz von Westerwelle."

Oper bildet Werte

Darf man mal was ganz Pauschales fragen: Was ist für Peter Konwitschny das Faszinierende an Oper? Konwitschny überlegt lange. "Die Oper ist ein den Menschen bildendes Medium. Die erzählten Geschichten haben ethische Substanz, und durch die Musik hat die Oper etwas Einmaliges, etwas Starkes: Unsere rationalen Kontrollmechanismen versagen. Und wenn es dann noch gut inszeniert ist, dann bekommt das Ganze eine ungeheure Schubkraft."

Als Regisseur jedes Mal Schöpfer einer neuen Bühnenwelt zu sein: Auch das ist wahrscheinlich nicht ohne Reiz. "Absolut. Das war mir früher nicht bewusst. Aber es ist ja wirklich ein bisschen wie beim lieben Gott: Man hat einen leeren Raum vor sich und kann erst mal machen, was man will. Aber es hat natürlich auch eine große Verantwortung: weil man eine Welt schafft. Und was hat diese Welt in unserer Welt für einen Sinn? Das ist für mich die politische Frage. Es wäre asozial, wenn's nur um schöne Kostüme und schöne Töne geht. Natürlich gibt es auch den Genussfaktor, aber eine Inszenierung muss das Publikum weiterbringen als Mensch." (Stefan Ender, DER STANDARD, 6./7.7.2013)