Der Eat-Art-Künstler Daniel Spoerri wohnt in einem sanierten Barockhaus in Hadersdorf am Kamp, wo er auch ein Museum und ein Lokal betreibt. Mit Wojciech Czaja sprach er über Motten und Pellets. Und über Olga.

"Der Kopf neben mir heißt Olga und stammt von meiner damaligen Freundin Eva Aeppli. Ich war damals 19 und hatte gerade mit dem Ballettstudium in Zürich begonnen. Eines Tages war ich auf eine Party eingeladen. Und da war eine Frau, die den ganzen Abend im Eck saß und heulte. Das war Eva, die Ehefrau von Jean Tinguely. Mich hat ihr Heulen fasziniert. Am Ende des Abends landeten wir in meiner Dachkammer. Bis heute bin ich mit Eva in Kontakt, und vor ein paar Jahren hat mir diese begnadete Künstlerin diese Stoffskulptur namens Olga geschenkt. Das ist ein genähter Kopf aus indischer Rohseide und Industriewatte.

"Wo auch immer ich bin, muss ich mich in die Wohnung erst einmal reinbeißen und reinfressen." Daniel Spoerri auf einem seiner vielen kaschierten Ikea-Möbel. (Foto: Lisi Specht)
Foto: Lisi Specht

Das ist also die Geschichte von Olga. Aber ich soll ja jetzt nicht über Eva und Olga reden, sondern über meine Wohnung. Also gut. Kunst gehört bei mir zum Wohnen dazu. Eine Wohnung ohne Kunst? Ich weiß gar nicht, wie das aussehen soll! Überall steht Kunst her um, wobei ich in meiner Wiener Wohnung selbst auch Kunst mache und die ausgestellten Objekte dort irgendwie besser zusammengestellt sind. Die Wohnung hier in Hadersdorf ist mehr eine Art unsortierte Abstellkammer der schönen Dinge. Ich habe eine kleine Skulptur von Niki de Saint Phalle, eine Schokoladenplastik von Dieter Roth, die 50 Jahre alt ist und bereits von Schokoladenmotten zerfressen ist, und jede Menge anderer Objekte, auf die ich jetzt nicht eingehen werde, weil das sonst eine noch längere Geschichte als die von Olga wird.

Ich wohne hier seit fünf Jahren, wobei das hier nur ein Neben nebenwohnsitz ist. Der Großteil des Hauses stammt aus dem 16. und 17. Jahrhundert. Der Keller vorn am Marktplatz ist noch älter, da gibt es noch gotische Gewölbe. Als ich das Haus 2008 gekauft habe, war es perfekt saniert. Nur dieser Bereich hier, in dem sich heute meine Wohnung befindet, war alt und marod. Ich nehme an, dass der vorige Investor, ein Amerikaner, von der Finanzmarktkrise 2008 getroffen wurde und den Bau einstellen musste. So bin ich also verhältnismäßig günstig zum Zug gekommen.

Der Raum war voller Motten. Kilo- und eimerweise Motten! Das Rausschaufeln der Insektenberge war ein Kammerjägergroßauftrag. Wir haben den Bereich sukzessive ausgebaut. Die Holztramdecke ist unberührt geblieben. Außerdem gibt es Holzböden, Steinfliesen und weißen Putz an der Wand. Geheizt wird mit Pellets. Immerhin besser als mit Öl.

Die Wohnung hat 200 Quadratmeter. Hinzu kommen circa 800 Quadratmeter Ausstellungsfläche im gesamten Haus. Was die Möbel betrifft, so stammt vieles vom Ikea, wie etwa die Couch, die Bücher regale, die große Bogenlampe. Ich war einer der ersten Fans von Ikea. Ich finde diese Verpackungslogistik großartig. Mittlerweile hat sich der Hype gelegt, und ich versuche, das Ikeahafte ein bisschen zu verschleiern. Auf dem Sofa liegen traditionelle Stoffe aus dem Kaukasus und aus Nigeria. Und an der Wand darüber hängen drei sogenannte Bakuba. Das sind schwarz-weiße Stoffdecken, die aus den Fasern der Raphiapalme gewebt sind. Mir gefallen diese teils strengen, teils verspielten Geometrien. Ich habe mehr als 170 davon.

Wohnen ist für mich etwas Essenzielles. Ich denke, das liegt dar an, dass ich in gewisser Weise heimatlos bin. Ich habe bereits an so vielen Orten gelebt, dass ich kaum noch zählen kann. Wo auch immer ich war oder bin, muss ich mich in den Ort, in die Wohnung erst einmal so richtig reinbeißen und reinfressen, bis ich merke, dass es mich wieder weiterzieht. Doch in Wien und Hadersdorf, so scheint es, habe ich endlich Heimat gefunden. Ich habe mich hier von Anfang an sehr wohl gefühlt. Spoerri und Wien und Hadersdorf – das passt irgendwie verdammt gut zusammen." (DER STANDARD, 6./7.7.2013)