Wenn sich ein Friedensnobelpreisträger hinter die gewaltsame Absetzung eines in halbwegs ordentlichen Wahlen gewählten, aber glücklosen und von vielen gehassten Präsidenten durch das Militär stellt, wird dann aus einem normalen Staatsstreich ein guter Staatsstreich? Erste Reaktionen aus internationalen politischen Kreisen, denen man keinerlei Sympathie für die ägyptische Muslimbruderschaft nachsagen kann, waren nach dem Sturz Mohammed Morsis erstaunlich skeptisch. Ein Putsch ist ein Putsch ist ein Putsch: Das Eingreifen der Armee war nach Meinung der Opposition nötig, um Ägypten vor dem Kollaps zu retten, das schützt den Schritt jedoch nicht automatisch vor Diskussionen über die Rechtmäßigkeit. Legitimiert kann er nur durch eine zukünftige demokratische Entwicklung werden.

Die einzig "gute" Variante wäre eine Beteiligung Morsis und der Ikhwan (Brüder), deren Partei im Winter 2011/2012 zur stärksten Gruppierung gewählt wurde, an einer Kursänderung gewesen: ihre Zustimmung zu Präsidenten-Neuwahlen. Morsi verweigerte dies, die Muslimbrüder wählten die andere Variante, nach dem Ultimatum der Armee in vollem Bewusstsein, was Mittwochabend geschehen würde. Die 1928 gegründete Bruderschaft ist sehr geschichtsbewusst: Ein Putsch gegen ihre rechtlich legitime Herrschaft macht sich in den Annalen besser als ein erzwungener Abgang wegen Unfähigkeit.

Für die Länder des Arabischen Frühlings ist das keine gute Nachricht. Der demokratische Übergangsprozess, der in Tunesien und Libyen ähnlich aufgesetzt ist (Parlamentswahlen, Verfassungsschreibung etc.), ist in Ägypten erst einmal gescheitert. Einmal mehr - wie nach der Revolution 1952, bei der sie mit den Freien Offizieren kooperierte - wird den Ikhwan nach ihrer eigenen Auffassung die ihnen zukommende Rolle versagt. Diese Eigensicht hat schon einmal zu einer Radikalisierung der Bewegung geführt.

Muslimbrüder hatten nur wenige Freunde

Die anderen Sektoren der ägyptischen politischen Szene sind sich dessen bewusst: Fast panisch klangen die Versicherungen - unter anderem des Interimspräsidenten, Adly Mansur -, dass die Muslimbrüder weiter ihren Platz im öffentlichen Leben und in der Politik Ägyptens haben sollen. Die Anti-Morsi-Bewegung war auch erfolglos, solange sie nur von den wenigen Säkularen und Liberalen und den schon stärkeren Linken getragen wurde. Morsi wurde nicht von Gegnern seiner islamistischen Ideologie zu Fall gebracht, sondern von den sozialen und wirtschaftlichen Verlierern der Revolution von 2011: ganz normalen Leuten.

Wird Ägypten ohne Morsi besser funktionieren? In einigen Bereichen ja, wenn Gruppen, die die neue Ordnung verdeckt boykottiert haben - wie die Polizei, die schon gefährliche eigene Wege zu gehen begann -, sich wieder einbinden lassen. Das gilt jedoch nur so lange, als sich gleichzeitig nicht andere Gruppen vom Staat entfernen. Muslimbrüder sitzen in allen Institutionen, ohne sie geht es nicht.

Die ägyptische Muslimbrüder-Führung hatte nur wenige Freunde in der Region: Wobei post festum auch festzustellen ist, dass sie sich außenpolitisch ziemlich pragmatisch verhielt, was allein die Enttäuschung der Hamas, die weiter im Gazastreifen eingesperrt blieb, gut illustriert. Israel, das 2011 Hosni Mubarak lautstark nachtrauerte, bricht jedenfalls heute nicht gleich in Freudentaumel aus. (Gudrun Harrer, DER STANDARD, 5.7.2013)