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Straßburg/Wien - Im zweiten Anlauf ist die Notoperation gelungen, das Leben des Patienten hing allerdings bis zuletzt am seidenen Faden: Mit nur 33 Stimmen Überhang hat das Europaparlament am Mittwoch die von der EU-Kommission empfohlene Kürzung von Treibhausgas-Emissionszertifikaten ("Backloading") beschlossen. Mit der fixierten temporären Verknappung von Verschmutzungsrechten - die Auktion von 900 Millionen Zertifikaten darf verschoben werden - wird das aufgrund massiven Preisverfalls fast kollabierte Handelssystem gerettet.

Die Zustimmung der im Rat vertretenen Regierungen steht zwar noch aus, sie gilt aber nur mehr als Formsache. "Die einmalige Herausnahme von 900 CO2-Zertifikaten ist zu diesem Zeitpunkt die richtige Entscheidung im Sinne des Umweltschutzes", gab sich Landwirtschafts- und Umweltminister Niki Berlakovich (ÖVP) erleichtert. Auch Umweltorganisationen wie Greenpeace begrüßten die Rettungsaktion für den Emissionshandel.

Kritisiert wurde das "Backloading" allerdings, weil die ursprünglich vorgesehene Zweckbindung von 600 (der insgesamt 900) Mio. Verschmutzungsrechte für innovative Technologien gekippt wurde. Unternehmen in diesen Branchen sollten Zertifikate gratis zugeteilt werden, um ihnen einen Startvorteil gegenüber Konkurrenten zu gewähren. Die Verwertung dieser Papiere fällt nun in die Kompetenz der Finanzminister, sie würden nun zu deren "Goldesel", wie ÖVP-Mandatar Gerhard Seeber warnte. Die Industriellenvereinigung nannte die Marktkorrektur sogar eine "willkürliche Marktverzerrung", für die Wirtschaftskammer stellt es ein "falsches Signal" dar. Schließlich erhöhten höhere CO2-Preise die "Abwanderungstendenzen der Betriebe in Wirtschaftsräume ohne Zertifikatskosten.

Wiederholen sollte sich ein Backloading nicht, der Parlamentsbeschluss erlaubt nur einen Eingriff. Und: Die Zertifikate sind in den Markt zurückzuführen. Der gewünschte Effekt zeigte sich rasch: Der zwischen drei und vier Euro dümpelnde Zertifikatepreis schoss am Mittwoch zeitweise um elf Prozent in die Höhe. Von den bei der Einführung des Kioto-Systems erhofften 30 Euro pro Tonne ist er freilich meilenweit entfernt.

Billigzertifikate

EU-Mitgliedsstaaten, die ihre Kioto-Ziele nicht wie geplant einhalten, werden sich an Billigzertifikaten wohl nicht stören. Auch Österreich muss bis 2020 pro Jahr im Schnitt zwei Millionen Zertifikate kaufen, um seine Klimaziele zu erreichen, warnte der Klimaexperte des Umweltbundesamtes, Jürgen Schneider, am Mittwoch bei Vorlage des diesjährigen Klimaschutzberichts. "Wenn wir nichts tun bis 2020", also keine zusätzlichen Maßnahmen ergreifen bei Gebäudesanierung oder im Verkehr. Ein Auslaufen oder eine Drosselung der Förderung von Wärmedämmung wäre kontraproduktiv, denn ohne Steigerung der Sanierungsraten sei klimaschutzmäßig nichts zu gewinnen.

Am meisten helfen würde freilich eine drastische Eindämmung des "Tanktourismus", der Österreichs Klimabilanz immerhin mit rund sechs Millionen Tonnen CO2-Äquivalenten belastet. Italienische Spritpreisverhältnisse würden zwar mit einem Schlag vier bis fünf Millionen Tonnen ersparen, den Staatshaushalt aber um bis zu eine Milliarde Euro an Einnahmen erleichtern.

Eine Herausforderung wird laut Umweltbundesamt auch die richtige Balance bei Maßnahmen im Verkehr, einem der Haupttreibhausgasverursacher. Tempolimits wären wirkungsvoll, seien politisch aber schwer umsetzbar. Es brauche eine austarierte Kombination aus öffentlichem Verkehr und Autoverleihsystemen. Auch der Schienengüterverkehr könnte eine Attraktivierung vertragen, geriet er doch nach der Wirtschaftskrise gegenüber Transporten mit Lkw ins Hintertreffen. Das sei ein europäisches Problem, das überregional gelöst werden müsse, sagte Schneider. "Entscheidend für eine Maßnahme ist deren Ökobilanz."

In der E-Wirtschaft seien erneuerbare Energieträger ausschlaggebend für die Anhebung der Energieeffizienz. Potenzial haben auch Photovoltaik und Windkraft, wobei beide mit Widerstand seitens der Bevölkerung und Förderproblemen konfrontiert sind.

Schwäche macht stark

Trotz aller Unbilden, das schwache Wirtschaftswachstum hilft: Österreich hat reelle Chancen, seine Klimaschutzziele bis 2020 zu erreichen. Allerdings bedürfe es zusätzlicher Maßnahmen, sonst egalisiert sich der seit Jahren anhaltende Rückgang beim Treibhausgasausstoß. Auch für 2012 - genaue Zahlen liegen noch nicht vor - erwartet das Umweltamt einen Rückgang. 2011 sanken die Emissionen auf 82,8 Mio. Tonnen CO2-Äquivalente. Die Kioto-Zielvorgabe betrug 68,8 Millionen Tonnen. Österreich steht "gar nicht so schlecht da", resümierte Schneider. (Reuters, sg, ung, DER STANDARD; 4.7.2013)