Die Welle der Empörung über das systematische Ausspionieren von Regierungen und EU-Institutionen wie des europäischen Datennetzes ganz generell durch US-Geheimdienste wie der NSA fand am Dienstag im Europaparlament in Straßburg ihre Fortsetzung. Von Präsident Martin Schulz extra angesprochen, wurde das Thema im Plenum zum Teil sehr emotional andiskutiert.

"Es muss eine starke Reaktion geben", rief der Fraktionschef der Liberalen, der frühere belgische Premier Guy Verhofstadt, in den Saal. Es reiche nicht aus, wenn sich die Kommission und der Ministerrat nur besorgt zeigten. "Wir sind nicht nur besorgt, wir sind zornig!", erklärte Verhofstadt. "Wir brauchen volle Aufklärung, nicht nur eine Entschuldigung!"

So wie die Vertreter aller großen Fraktionen forderte er die Einsetzung eines speziellen Ausschusses des Innenausschusses, der die Vorwürfe klären soll. Am Donnerstag wird ein solcher im Plenum vermutlich auch mit großer Mehrheit beschlossen werden. Er soll sofort zu arbeiten beginnen. Einen Untersuchungsausschuss dazu einzusetzen ist aus formalen Gründen schwierig. Der EU fehlt es in militärischen und sicherheitspolitischen Belangen an Kompetenz.

Echelon lässt grüßen

U-Ausschüsse in Straßburg sind für Brüche des europäischen Rechts vorgesehen. Es können nicht so einfach Zeugen und Dokumente über Angelegenheiten der nationalen Sicherheit angefordert werden. In der Regel geben auch europäische Regierungen dazu keinerlei Auskunft. Wie heikel eine solche Untersuchung ist, hatte sich bereits 2000/2001 gezeigt, als das EU-Parlament die Affäre "Echelon" prüfte. US-Geheimdienste hatten damals schon gemeinsam mit Briten oder Australiern ein militärisches Netzwerk zur weltweiten Überwachung der Kommunikation aufgezogen, sehr ähnlich wie bei "Prism". Mangels Informationen durch die Geheimdienste - auch aus Europa - wurde in Straßburg wenig aufgeklärt.

Dennoch: Die Affäre scheint immer mehr einen Keil in die Beziehungen zwischen den USA und den EU-Partnern zu treiben. Sogar Außenminister Jean Asselborn aus dem Nato-bündnistreuen Luxemburg verlangt nun, dass Europa "klare Kante" zeige gegenüber den USA. EU-Kommissionspräsident José Manuel Barroso sagte in der Plenardebatte im EU-Parlament, sollten die Berichte über die NSA-Spionage zutreffen, würde das "sehr ernste und wichtige Fragen" für die transatlantischen Beziehungen aufwerfen.

Gestörte Handelsbeziehungen

Dahinter steckt die Sorge, dass der für nächste Woche geplante Start der Verhandlungen über ein Freihandelsabkommen EU-USA in letzter Minute platzen könnte, wenn sich die Lage weiter aufschaukelt. EU-Abgeordnete aus allen wichtigen Fraktionen wollen - in unterschiedlicher Schärfe - sofortige Konsequenzen sehen.

Der SPÖ-Mandatar Jörg Leichtfried trat dafür ein, nicht nur die Handelsgespräche auf Eis zu legen, sondern auch bestehende Abkommen zum Datenaustausch vorläufig auszusetzen, konkret Verträge zu Fluggastdaten und Bankdaten. Was geschehen sei, sei "eine absolute Sauerei". Die Europäer müssten den USA deutlich machen, dass sie Datenschutz auf dem höchsten Niveau akzeptieren müssen.

Ins gleiche Horn stieß Ulrike Lunacek (Grüne), die sich auch dafür ausspricht, dass Österreich dem abgesprungenen NSA-Agenten Edward Snowden Asyl gewährt. Dieser sei ein klassischer "Whistleblower", ein Hinweisgeber, und wer Verletzungen von Grundrechten aufdecke, dem sollte auch Schutz angeboten werden.

Am zurückhaltendsten äußerten sich noch die Konservativen von der EVP. Aber auch sie fordern volle Aufklärung. Es gehe nicht, dass man "einerseits verhandelt, aber auf der anderen Seite werden Wanzen installiert", sagte Othmar Karas. (Thomas Mayer aus Straßburg, DER STANDARD, 3.7.2013)