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Friedensnobelpreisträgerin Tawakkol Karman.

Foto: REUTERS/Ueslei Marcelino (

STANDARD: Expräsident Ali Saleh ist seit fast zwei Jahren außer Amt. Was hat sich im Jemen verändert?

Karman: Wir sind noch immer in der Revolutionsphase. Zwei sehr wichtige Positionen haben wir aber getauscht: Der Präsident und der Chef von Armee und Sicherheitskräften wurden abgelöst. Jetzt müssen wir weitere Schritte setzen - das System ist immer noch voll mit Korruption. Gerade läuft die Dialogkonferenz, in der wir die neue Verfassung diskutieren - neue Gesetze und Institutionen, die Demokratie, Bürgerrechte, Freiheit und Rechtsstaatlichkeit garantieren sollen.

STANDARD: Hat sich auch die Pressefreiheit verbessert?

Karman: Die Meinungsfreiheit ist in vielen Feldern größer. Es gibt einen riesigen Unterschied zur Situation vor der Revolution. Das Wichtigste ist: Wir nutzen unser Demonstrationsrecht. Es gibt natürlich noch Attacken, aber nicht mehr so massiv. Und sie werden jetzt thematisiert und bekämpft.

STANDARD: Sie haben gedroht, an der Dialogkonferenz nicht teilzunehmen. Nun sind Sie doch dabei. Was hat Ihre Meinung geändert?

Karman: Ich bin im Konsenskomitee, das Ideen innerhalb des Dialogs vereinen und die Umsetzung überwachen soll. Ich habe angekündigt, dass ich nicht teilnehmen will, bis man meine Bedingungen erfüllt - die wichtigste war die Vereinigung der Armee und der Sicherheitskräfte. Vor einem Monat hat Präsident Abd Rabbo Mansur Hadi das getan.

STANDARD: Wird dort auch über die jüngsten Attentate gesprochen?

Karman: Hinter den Angriffen stecken Anhänger von Expräsident Saleh. Das viele Geld, das er in seinen 33 Jahren an der Regierung gestohlen hat - das nutzt er nun. Die Attentate sind das Resultat einer fehlenden Rechtsprechung und der Immunität für Saleh, die man ihm zugesprochen hat, ohne dass ihm Geld abgenommen wurde, ohne dass er verpflichtet wurde, die Politik zu verlassen.

STANDARD: Die Konferenz soll 2014 beendet sein. Wird die Zeit reichen?

Karman: Die Zeitspanne ist sehr kurz, aber wir müssen alles tun, um es zu schaffen. Der Februar 2014 ist aber nicht das Ende - wir dürfen jetzt nicht alles schnell kochen, nur damit wir rechtzeitig fertig werden. Wir müssen alle Punkte durchsetzen, vor allem den Kampf gegen Korruption. Das müssen wir schaffen, bevor wir eine Wahl abhalten - sonst reproduzieren wir das alte Regime.

STANDARD: Werden auch Forderungen nach einer Teilung des Landes in der Konferenz behandelt?

Karman: In der Konferenz gibt es keine Tabus. Diese Forderungen sind aber für mich nicht die Lösung. Ich halte sie für gefährlich. Besser wäre ein föderalistisches System. Ich glaube, dass das im Süden auch akzeptiert würde.

STANDARD: In mehreren Ländern zeigt sich, dass die Revolutionäre sehr unterschiedliche Ziele haben. War manche Hoffnung zu groß?

Karman: Das ist im Grunde das, wofür wir gearbeitet haben: Vor der Revolution war die Straße leer, jetzt nehmen die Menschen ihr Recht auf Teilhabe wahr. Wir müssen uns bewusst sein, dass wir erst im dritten Jahr sind. Die Menschen, die sich an den Protesten beteiligt haben, wissen genau: Der Rücktritt der Regierungen war nicht das Ende des Wandels, sondern der Anfang. Demokratie kommt nicht in einem Jahr - Europa hat Jahrhunderte gebraucht.

STANDARD: In Ägypten und Tunesien wurde zuerst gewählt, nun wird versucht, die Verfassung zu finden. Im Jemen ist es umgekehrt.

Karman: Dass es in Ägypten Wahlen gab, bevor man eine Verfassung hatte, ist die Wurzel der Probleme. Die Übergangsperiode sollte mit Konsens zwischen verschiedenen Bewegungen beginnen - und das darf keine Frage von Mehrheit oder Minderheit sein. Wahlen sind erst der letzte Punkt. Davor müssen alle Kräfte gemeinsam entscheiden, unter welchen Gesetzen sie in Zukunft leben wollen. In Tunesien und Libyen gibt es vernünftige Prozesse. Das Vorgehen im Jemen ist aber vermutlich das beste, weil wir keine Prozedur hatten, um zu sehen, wer die Mehrheit hat: Die Leute sitzen einfach an einem Tisch und diskutieren über die Zukunft. (Manuel Escher, DER STANDARD, 2.7.2013)