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Premier Zoran Milanovic: Kroatien kein Kolonisator.

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Dynamik im Südosten: Nach dem Beitritt Kroatiens beginnt Serbien mit den EU-Verhandlungen. Die Schatten der Regierungschefs: nach rechts gerichtet Zoran Milanovic, nach links Ivica Dacic.

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Kroatiens Premier Zoran Milanovic will den Arbeitsmarkt flexibilisieren. Er sieht den Druck des freien Marktes als größten Nutzen des EU-Beitritts für sein Land, sagte er zu Adelheid Wölfl. >>>Link zur Interview-Langfassung

STANDARD: Was ist der größte Nutzen des EU-Beitritts für Kroatien?

Milanovic: Mittelfristig, dass wir der anregenden Kontrolle des freien Marktes und des Freihandels ausgesetzt sind. Manche Leute bekommen Angst davor. Aber nur wenn wir solchen Tests ausgesetzt sind, können wir stärker und wettbewerbsfähiger werden.

STANDARD:  Die Investitionen in Kroatien gehen seit Jahren zurück. Weshalb haben Sie das Gesetz für strategische Investitionen nicht bereits vor einem Jahr gemacht?

Milanovic: Das Faktum, dass es passiert, bringt eine grundlegende Veränderung. Die Frage ist, weshalb es nicht vor fünf Jahren gemacht worden ist.

STANDARD: Meine Frage war, warum es nicht vor einem Jahr passiert ist. Ihre Regierung ist seit Ende 2011 im Amt.

Milanovic: Mein Mandat dauert vier Jahre, und ich bin glücklich, dass wir es überhaupt geschafft haben. Es verkürzt einige Verfahren dramatisch. Und es war nicht einfach, das mit europäischen Regelungen auszubalancieren.

STANDARD:  Wie gut ist Kroatien vorbereitet, EU-Fonds abzuschöpfen?

Milanovic: Wenn wir nicht - nach so vielen Jahren der Kontrolle und des Drucks seitens der EU - gut vorbereitet sind, dann weiß ich nicht, wer sonst auf der Welt gut vorbereitet sein soll. Der Beitrittsprozess hat so lange gedauert. Wir müssen etwas gelernt haben, selbst wenn wir mittelmäßige Leute sind.

STANDARD: Wie viel Prozent wollen Sie abschöpfen?

Milanovic: Hundert Prozent, aber 75 Prozent sind realistisch.

STANDARD:  Es gibt hier viele Ökonomen, die sagen, dass ohne einschneidende Reformen im Gesundheits-, Pensions- und Sozialbereich das Steigen des Budgetdefizits nicht aufgehalten werden kann. Welche Reformen planen Sie?

Milanovic: Flächendeckende. Zurzeit ist unser größtes Problem, dass wir eine zu niedrige Beschäftigungsquote haben. Das heißt, dass wir mehr Jobs schaffen müssen, die meisten davon flexibel und die meisten in Teilzeit. Denn das funktioniert in Deutschland und in Österreich.

STANDARD:  Wenn Sie auf das deutsche Modell verweisen, sind Sie dann auch für Hartz IV?

Milanovic: Absolut. Und jeder, der anders denkt, denkt überhaupt nicht.

STANDARD:  Es gibt Ökonomen, die sagen, dass Kroatien wegen seines hohen Budgetdefizits mit einem Defizitverfahren rechnen muss, wenn es der EU beigetreten ist.

Milanovic: So ein Verfahren beunruhigt mich jedenfalls nicht. Ziel ist es, das Defizit runterzubringen. Aber einige Panikmacher sind jahrelang herumgerannt und haben uns mit dem Internationalen Währungsfonds gedroht. Wie Sie sehen, ist der IWF nicht gekommen.

STANDARD:  Serbien bekommt ein Datum für den Beginn von Beitrittsverhandlungen. Hat der Kroatien-Beitritt eine Dynamik auf dem Balkan entfachen können? Kann Kroatien als Modell für Serbien dienen?

Milanovic: Nachdem Kroatien der vorerst letzte Staat ist, der beitritt, ist es notwendigerweise ein Modell für jeden anderen Anwärter. Jedes der postkommunistischen Länder, das als Nächstes dran kommt, wird mindestens die gleichen Kontrollen durchlaufen müssen. Aber ich wünsche Serbien alles Gute. Ganz aufrichtig und von Herzen.

STANDARD: Der serbische Präsident Tomislav Nikolic wird am Sonntag zu den EU-Feierlichkeiten nach Zagreb kommen. Wann werden die wechselseitigen Völkermordklagen zurückgezogen werden?

Milanovic: Die Klagen beim Internationalen Gerichtshof in Den Haag belasten unsere Beziehungen in einem Ausmaß, dass wir energischer in Betracht ziehen müssen, was wir damit machen. In der alltäglichen politischen Arbeit bin ich auf die serbische Regierung ausgerichtet und ...

STANDARD:  ... nicht auf den Präsidenten. Aber hier geht es um eine symbolische Ebene.

Milanovic: Nichts symbolisch Hehres kann schaden. Es kann nur zum Besseren führen.

STANDARD:  In einigen Ländern in der Region, wie etwa in Bosnien-Herzegowina oder auch in Mazedonien, herrscht seit Jahren politischer Stillstand. In der Region sieht es überhaupt nicht positiv aus. Wie kann Kroatien auf dem Balkan helfen?

Milanovic: Als aktiver Partner, aber nicht mehr. Wir sind dort viel weniger präsent, als wir wollen würden. Aber wie die jüngste Fusion eines großen kroatischen Händlers und Unternehmens (Agrokor, Anm. der Red.) mit dem slowenischen Mercator zeigt, gibt es Raum für Kooperation. Wir werden dort sein, aber nicht als Kolonisatoren, sondern an erster Stelle als Wirtschaftspartner. Ich kann keines dieser Länder nach meinem Modell verändern. Und ich möchte das auch nicht.

STANDARD: : Wann kann der Euro in Kroatien eingeführt werden?

Milanovic: Ich weiß es nicht. Wir drängen da nicht. (Adelheid Wölfl, DER STANDARD, 29.6.2013)