Die öffentliche Hand ist in Österreich der wichtigste Förderer von Kunst und Kultur, um einerseits eine solide Finanzierung des künstlerischen Schaffens zu gewährleisten und andererseits mit dieser Haltung auch kräftig Werbung für die "Kulturnation" zu betreiben. Das galt lange Zeit als stabiler kulturpolitischer Konsens der Zweiten Republik. Damit konnten Kunstminister beim Finanzminister ordentliche Budgets herausverhandeln. Und deshalb zahlen wir alle auch brav ORF-Gebühren, in einem Mix aus Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Kulturauftrages der Anstalt und gleich auch den drangehängten Landeskulturabgaben. De facto ist die Gebühr eine Kultursteuer.

Wenn nun das ORF-Management, in der Intention zynisch, aber vermutlich auch unbedarft pokernd, Bachmann-Preis und Musikprotokoll zur Disposition stellt in seinem Feilschen mit der Regierung um eine Refundierung von Gebührenbefreiungen, dann agiert es einerseits schlicht aus der Logik eines Staatsfunks, der sich an seine Herrschaft wendet. Zum anderen aber bricht es paradoxerweise dieses bisher gültige öffentlich-rechtliche Arrangement: Der ORF präsentiert sich schlicht als rücksichtsloser privater Mäzen, der glaubt, nach Belieben schalten und walten zu dürfen, ohne jeden Sinn für seine gesellschaftliche Verantwortung, die überhaupt erst die Einhebung der ORF-Gebühren rechtfertigt.

Bisher galt solch ein Rabaukentum als typisch für reiche Individuen, die mit ihrer privaten Unterstützung von Kunst andere Interessen bedienen würden als den Gemeinnutzen, weshalb der öffentlichen Hand die Rolle des verantwortungsbewussten Geldgebers auch so gut ansteht.

Die aktuellen ORF-Ankündigungen haben natürlich sofort den gewünschten breiten Protest hervorgerufen, und es ist zu vermuten, angesichts der ersten zaghaften offiziellen Reaktionen beim Bund und in Kärnten, dass zumindest für Klagenfurt Geld irgendwo gefunden und die Veranstaltung unter der Selbstzufriedenheit aller dann Beteiligten letztlich fortgeführt werden wird. Beim Musikprotokoll bin ich mir allerdings schon nicht mehr so sicher über den aktuellen Kurswert der Wetten.

Der Bruch mit solchen Traditionen der Verantwortung, Berechenbarkeit und Kontinuität scheint indessen ein grundsätzliches Problem sichtbar zu machen.

Spannend am Bachmann-Preis - der seit seiner Gründung aus guten Gründen immer wieder aufs Neue heftig umstritten war - ist ein Aspekt, der in der akuten Protestwelle kaum Beachtung findet: Die mehrtägige Veranstaltung zwischen Studiohitze und Sprung in den Wörthersee findet statt in Anwesenheit einer erklecklichen Anzahl von gesamtdeutschsprachigen Medienmenschen, wichtigen Literaturlektoren sowie, durch die 3sat-Übertragungen, unter direkter wie auch erfolgreicher medialer Ansprache der wichtigsten Kernzielgruppen und Meinungsbildner für Literatur, etwa von Bibliothekaren, Buchhändlern, Lehrern wie auch den aufmerksamsten Literaturlesern, zwischen Klagenfurt und Kiel. Damit bewegt und bündelt die Veranstaltung tatsächlich, immer wieder, eine kritische Masse an Aufmerksamkeit für die Literatur und für das Lesen.

Heute ist der Bachmann-Preis die einzige österreichische Veranstaltung, über die zuvor wenig bekannte Autoren tatsächlich, und direkt, eine Laufbahn über die Landesgrenzen hinaus für den gesamten Sprachraum von rund 100 Millionen Menschen auf den Weg bringen können. Alle anderen österreichischen literarischen Auszeichnungen, Events oder Festivals haben kein vergleichbares Potenzial. (Die ganz großen Festivals, allen voran Salzburg, widmen sich allein arrivierter Literatur.) Angesichts eines längst globalen Kulturmarktes, in dem jedes Land und dessen Kunstschaffende gegenüber ihrem Publikum in solchen Konkurrenzen betrachtet werden, ist dies wichtig.

Hier ist es nötig, den Bogen zur öffentlichen Förderpolitik zu schlagen, die ungerührt von solchen Herausforderungen strukturkonservativ ihre Förderstrategien weitgehend linear fortschreibt. Angesichts der Erwartung, dass Veränderungen - siehe die ORF-Ankündigung - nur Streichungen erwarten lassen, erscheint auch die gespiegelte Haltung der Fördernehmer in ihren Protesten dann verständlich und vernünftig. Aber das grundsätzliche Dilemma ist real.

Tatsächlich ist die Gesamtförderungssumme für Literatur des Bundes in den letzten zehn Jahren (über Schwarz und Rot hinweg) in etwa gleich geblieben. Die direkten Ausgaben zur Unterstützung für hochkarätige Literaturveranstaltungen sowie für Literaturverfilmungen innerhalb des ORF kenne ich nicht.

Mir sind auch von beiden Organisationen keine Ambitionen bekannt, sich im radikal wandelnden Umfeld (kulturelle Globalisierung, Digitalisierung, neue Medienkonkurrenzen, neue Möglichkeiten der kulturellen Kommunikation und des Vertriebs von Kultur und Kunst über Internet und soziale Netzwerke) mit kräftigen Innovationssignalen zu profilieren. Für den ORF ist mir nur die lautstarke Klage über die (gewiss widersinnigen) Verbote der Nutzung sozialer Netzwerke für seine Mitarbeiter gegenwärtig sowie sein gebührenfinanzierter expansiver Web- Auftritt. Für die staatliche Kulturpolitik nicht einmal das.

Angesichts der massiven neuen Konkurrenzen um kulturelle Identitäten und Profile ist die Abschaltung gerade jener Formate, die international stark wahrgenommen werden (wie eben Bachmann-Preis oder Musikprotokoll), absurd. Ein neues Nachdenken wäre stattdessen angesagt. Zentrale Themen sind da die wichtige Rolle der öffentlichen Hand in der Finanzierung von Kultur, die gemeinsame Verantwortung mit dem öffentlich-rechtlichen Leitmedium ORF, aber auch eine sinnvolle Verantwortung und Balance zwischen diesen Organisationen und deren Partnern in Kunst und Kultur.

Eine kleine Geldbeschaffungsrunde zwischen Kärntner Kommunal- und Landes- sowie Wiener Bundesbehörden zur Budgetentlastung des ORF kann die Lösung für die tatsächliche Herausforderung wohl nicht sein. (Rüdiger Wischenbart, DER STANDARD, 28.6.2013)