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Proteste gegen Morsi in Kairo.

Foto: AP/Nabil

Jeder Tuk-Tuk-Fahrer würde dieses Land besser regieren als Präsident Mohammed Morsi, ärgert sich am Donnerstag ein Supermarktbesitzer in Kairo und spielt auf die motorisierten Dreiräder an, die im Land sehr verbreitet sind. Die Rede des Staatsoberhaupts ist das beherrschende Thema in den Geschäften und am Zeitungsstand. Langweilig, uninspiriert und nichts Neues, lauten die Kommentare. Der Supermarktbesitzer hatte sich am Mittwochabend nur die Hälfte der zweieinhalb Stunden angehört. Dann hatte er genug.

Morsis Rede war eine zeitweise sehr persönliche Bilanz seines ersten Amtsjahres, das am Sonntag zu Ende geht. Er sprach vor der gesamten Regierung, Parlamentariern, dem Armeechef und einigen hundert Anhängern, die immer wieder applaudierten. Der Präsident gestand Fehler ein, ohne diese namentlich zu nennen, und kündigte schnelle und radikale Reformen an. Die politische Polarisierung würde die demokratische Erfahrung gefährden und drohe das Land zu lähmen und ins Chaos zu stürzen. Dafür verantwortlich seien "Feinde der Revolution" – Exponenten des gestürzten Regimes. Er machte mehrere Vorschläge, etwa eine Versöhnungskommission oder Verfassungsänderungen. Dazu wären aber Parlamentswahlen nötig. Und in den Augen der Opposition gibt es keine Garantie, dass diese fair ablaufen würden.

Die Initiative Tamarod (Rebellion), die über 15 Millionen Unterschriften für Morsis Rücktritt gesammelt hat, bleibt deshalb bei ihrem Aufruf zu Massendemonstrationen am Sonntag. Kleinere Proteste finden seit Tagen bereits in vielen Städten statt. Im Nil-Delta sind Mittwoch an mehreren Orten Morsi-Gegner mit Anhängern zusammengeprallt. Dabei gab es mindestens zwei Tote und über 400 Verletzte. Auch die Muslimbrüder haben angekündigt, dass sie Freitag auf der Straße sein und Morsi bis zum letzten Blutstropfen verteidigen würden. (Astrid Frefel aus Kairo/DER STANDARD, 28.6.2013)