Wien - Im Paragraf 74 des Strafgesetzbuches steht, ab wann einem Menschen für Illegales das Gefängnis droht. Der 14. Geburtstag ist der Stichtag, mit dem die Unmündigkeit endet, mit dem 18. Geburtstag ist auch die Zeit der Minderjährigkeit vorbei. Exakt 542 Minderjährige zwischen 14 und 17 Jahre wurden im Jahr 2011, aus dem die letzten verfügbaren Daten der gerichtlichen Kriminalstatistik stammen, zu unbedingten Strafen verurteilt. 180 von ihnen mussten in Haft, 45 über ein Jahr.

In Untersuchungshaft kommen Minderjährige grundsätzlich aus denselben Gründen wie Erwachsene: Flucht-, Verdunkelungs- oder Tatbegehungsgefahr. Allerdings wird eher beachtet, ob sich eine andere Maßnahme eignet oder die Persönlichkeitsentwicklung schwer gestört werden könnte.

Eklatantes Ost-West-Gefälle

Es gibt aber ein eklatantes Ost-West-Gefälle: 62 der unbedingten Freiheitsstrafen wurden vom Landesgericht Wien verhängt. In Salzburg, Tirol und Vorarlberg, die zusammen annähernd die Einwohnerzahl der Bundeshauptstadt erreichen, waren es dagegen nur 29 - also weniger als die Hälfte.

Das ist es auch, was Christian Timm, ehemaliger Gefängnischef von Stein und jetzt stellvertretender Leiter der Strafvollzugsdirektion, bei der aktuellen Diskussion über die Zustände bei Jugendlichen hinter Gittern aufregt. "Man zäumt das Pferd von hinten auf. Man sollte fragen, warum überhaupt so viele eingesperrt werden", sagt er.

Denn nicht nur die Verurteilungsrate sei im Westen Österreichs geringer, es gebe auch deutlich mehr bedingte Entlassungen. Und überhaupt: "In Norwegen gibt es beispielsweise eklatant weniger Häftlinge pro hunderttausend Einwohner als in Österreich." Derzeit seien auch nur zwei der insgesamt 9000 Gefangenen im "elektronisch überwachten Hausarrest" vulgo Fußfessel. "Das muss aber von Richtern und nicht von uns bewilligt werden."

Keine Resozialisierung im Strafvollzug

Die Vorwürfe, die beispielsweise die Wiener Jugendrichterin Beate Matschnig in Ö1 erhoben hat, dass die Haftbedingungen von Jugendlichen unhaltbar seien, weist Timm daher ebenso zurück. "Wir haben derzeit 9000 Häftlinge, das ist ein Wert wie vor zehn Jahren. Dafür sind 3100 Justizwachebeamten zuständig, die aber Aufgaben dazubekommen haben." Von der Vorstellung der Resozialisierung im Strafvollzug müsse man sich verabschieden.

Grundsätzlich bedauert er die Vergewaltigung eines 14-Jährigen in der Justizanstalt Wien-Josefstadt. Aber man sei zu fast hundert Prozent ausgelastet. "Wenn mehr Geld und Personal da wären, könnten wir sicher besser arbeiten."

Ein Punkt, den auch die Volksanwaltschaft so sieht. Die kritisierte in ihrem Jahresbericht 2012 unter anderem die langen Einschlusszeiten. Dazu kommen "fehlende Mittel für Aktivitätenprogramme und ausgelaufene Ausbildungs- und Beschäftigungsmöglichkeiten als Folge geschlossener Werkstätten und Betriebe", wird angemerkt.

Derzeit sind 132 Häftlinge minderjährig, dazu kommen 425 sogenannte "junge Erwachsene" bis 21, die von einer geringeren Strafandrohung vor Gericht profitieren. Männliche Verurteilte werden in der Jugendvollzugsanstalt Gerasdorf eingesperrt, weibliche kommen in das Frauengefäng- nis Schwarzau. "Bei kürzeren Freiheitsstrafen werden oft die den Landesgerichten angeschlossenen Strafanstalten genutzt", sagt Timm. Dort eigene Jugendabteilungen zu gründen sei illusorisch. "Eine Abteilung besteht aus zehn bis 30 Personen, in Korneuburg ist derzeit nur ein junger Häftling."

Ende des Jugendgerichtshofs

Bis 2003 gab es auch eine eigene Justizanstalt des Wiener Jugendgerichtshofs. Nach der umstrittenen Auflösung durch den damaligen Justizminister Dieter Böhmdorfer werden die Verdächtigen in der Josefstadt untergebracht. "Das war definitiv keine gute Idee, genau das größte Gefängnis Österreichs zu nehmen", sagt ein Insider am Wiener Straflandesgericht. Ob die Jugendrichter dort strenger urteilen als jene in Westösterreich, wagt er nicht zu beurteilen. "Wir sind in einer Millionenstadt und haben möglicherweise eine andere Klientel", meint er. Dieter Böhmdorfer betont in einer Stellungnahme gegenüber dem STANDARD, dass die Übersiedlung in die Josefstadt für "bessere und zweckmäßigere" Abläufe gesorgt habe. Alle Beteiligten am Strafvollzug würden übereinstimmen, dass sich die Situation verbessert habe. (Michael Möseneder, DER STANDARD, 28.6.2013)