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Ein Fleckviehkalb in einer Herde in Bayreuth: Auch die viel Biomasse und Wasser verbrauchende Viehwirtschaft war ein Bestandteil der Studie der Alpen-Adria-Universität.

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Seit Jahrzehnten wird in den Industrienationen ein Lebensstil gepflegt, der den Stoffwechsel ganzer Gesellschaften aus dem Gleichgewicht bringen kann. Allein der Erhalt und der Betrieb bestehender Infrastrukturen verschlingen gigantische Material- und Energiemengen. Die Folge ist ein Flächenverbrauch, der nicht nur zum Verschwinden von agrarischen Kulturlandschaften führt, sondern auch die Produktion der lebensnotwendigen Biomasse verringert. "Heute gebaute Infrastrukturen bestimmen die Entwicklung des Stoffwechsels einer Gesellschaft über viele Jahrzehnte", weiß Fridolin Krausmann von Institut für Soziale Ökologie der Alpen-Adria-Universität Klagenfurt. "Statt auf innovative Konzepte zu setzen, investiert man in Europa immer noch in veraltete Strukturen", kritisiert er. So sollen etwa in Italien demnächst Milliarden in den Autobahnausbau fließen, um aus der Wirtschaftskrise zu kommen.

Für sein vom Wissenschaftsfonds FWF gefördertes Projekt "Langfristige Trends und Muster im gesellschaftlichen Material- und Energieverbrauch" hat er die entsprechenden Daten für 175 Länder ermittelt und die zugrunde liegenden biogeografischen und sozioökonomischen Einflussgrößen identifiziert. Auf dieser Basis entstand eine Typologie der Länder nach ihrem Stoffwechselprofil. Statt ökomoralischer Mahnungen stellt der Forscher aber Zahlen und Daten zur Verfügung, um langfristige politische Strategien zu entwickeln.

Während das zurzeit stark genutzte Konzept vom "ökologischen Fußabdruck" ausschließlich mit dem Verbrauch von Biomasse und fossilen Energieträgern rechnet, setzen Krausmann und sein Kollege Helmut Haberl auf die Kombination umfassender "Materialverbrauchsrechnungen" mit " HANPP-Berechnungen (Human Appropriation of Net Primary Production).

Alle Materialien erfassen

"Mit der Verbrauchsrechnung können wir die gesamte Palette der verwendeten Materialien erfassen und damit auch die physische Größe von Ökonomien quasi in Tonnen berechnen", sagt Krausmann. Das "HANPP-System" sei der Fußabdruck-Berechnung methodisch überlegen: "Mit dieser von unserem Team weiterentwickelten Methode kann nun eine reale Messzahl ermittelt werden, wie viel Kohlenstoff durch gesellschaftliche Nutzung anderen Lebewesen in einem Ökosystem entzogen wird."

Mit ihrem Methodenmix haben die Forscher für vergleichsweise dünn besiedelte Industrienationen wie Kanada oder Australien einen sehr hohen Ressourcenverbrauch in allen großen Materialgruppen errechnet. So benötigt jeder einzelne Europäer pro Jahr rund 15 Tonnen Ressourcen, ein Amerikaner oder Kanadier 25 und ein Australier sogar mehr als 40 Tonnen.

Eine wesentliche Rolle spielen die Ernährungsgewohnheiten einer Gesellschaft. Denn immerhin 60 Prozent der weltweit genutzten Biomasse wird für die Viehwirtschaft verwendet. Sie verursacht nicht nur einen Teil der Treibhausgasemissionen, sondern benötigt auch extrem viel Wasser und fossile Energie. "Tatsächlich stehen die niedrigen Fleischpreise in keinem vernünftigen Verhältnis zu den hohen Umweltkosten, die durch die Fleischproduktion verursacht werden", so Krausmann.

Weniger Verbrauch in Japan

Eine der wenigen Industrienationen, deren Ressourcenverbrauch sinkt, ist Japan. Das habe mit einer auf Effizienzsteigerung ausgerichteten Politik zu tun, liege aber auch an einem geringen Fleischverbrauch, einer sehr hohen Besiedlungsdichte in den Ballungsräumen und an einem stark ausgebauten öffentlichen Verkehrsnetz zwischen den Zentren, sagt der Wissenschafter. Außerdem sei das Wirtschaftswachstum im Land in den vergangenen Jahren zurückgegangen.

Obwohl das gebremste Wachstum politisch nicht unbedingt gewünscht ist, könne sich der Westen einiges von Japan abschauen: "Langfristig ist es durchaus sinnvoll, vom Wachstumsparadigma ein Stück weit abzugehen und zu versuchen, Lebensqualität vom ökonomischen Wohlstand zu entkoppeln", ist der Sozialökonom überzeugt.

Rolle der Stadtplanung

Eine zentrale, aber oft übergangene Rolle beim Ressourcensparen spiele auch die Stadtplanung. "Hier gibt es bereits viele innovative Konzepte zur Verdichtung auf ökologischer Basis. Leider aber hat der Mainstream in puncto Siedlungspolitik - am liebsten ein Häuschen im Grünen mit guter Autobahnanbindung in die urbanen Zentren - bei uns immer noch das letzte Wort."

Dringend nötig seien auch neue Methoden zur Intensivierung der Landwirtschaft im Süden. Natürlich nicht durch die klassische Agrarindustrialisierung mit ihrem massiven Einsatz fossiler Energie, Agrochemie und künstlicher Bewässerung: "Die Erträge lassen sich auch mit ökologischen Methoden steigern, wenn man parallel dazu wieder Arbeitsplätze im Agrarsektor schafft", sagt Krausmann. "Das wäre sowohl ökologisch als auch arbeitsmarktpolitisch sinnvoll." Er bezieht sich auf die Tatsache, dass gegenwärtig immerhin noch 50 Prozent der Weltbevölkerung in der Landwirtschaft beschäftigt sind.

Ein weiteres zentrales Ergebnis der Studie: Der zurzeit propagierte Ausbau der globalen Bioenergieerzeugung würde bis 2050 den Verbrauch von Biomasse nahezu verdoppeln.

Die Forscher hoffen letztlich auch deshalb, dass Daten über die Folgen der aktuellen Ressourcenpolitik und bestimmter Lebensformen allmählich doch ins Bewusstsein der Entscheidungsträger einsickern. (Doris Griesser, DER STANDARD, 26.6.2013)