Auf manchen deutschen Schlachthöfen soll es schauderlich zugehen, von Schweinerei und Sklavenlöhnen ist die Rede. Manche Brancheriesen waren schon vor einigen Jahren unter Beschuss. Jetzt gerät die Schlacht-Branche in Verruf. Neu ist das alles nicht.

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Fleischfabrikant Tönnies in Rheda Wiedenbrück - Europas größter Fleischverarbeiter und Deutschlands größter Schweineschlachter - wehrte sich schon im Jahr 2007 gegen den Verdacht des Betrugs und illegaler Beschäftigung. Der Vorwurf damals: Der Fleischverarbeiter habe Lieferanten und Kunden betrogen. Außerdem wurde Tönnies illegale Arbeitnehmerüberlassung vorgeworfen. Ende 2010 mussten allerdings alle Vorwürfe fallengelassen werden, 2011 wurde auch das Verfahren wegen des Vorwurfs der Falschetikettierung eingestellt. Dieser Tage geriet wieder einmal die Schlachthofbranche insgesamt ins Visier. Von "Schweinerei", "moderner Sklaverei", "Lohndumping" spricht die österreichische Konkurrenz, wenn sie die Missstände in Deutschland generell kommentiert.

Im Bild: Ein gut gelaunter Fleischer in London

Foto: Reuters/Hacket

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In deutschen Schlachthöfen sollen Leiharbeiter-Kolonnen systematisch schwarz beschäftigt worden sein, lauten die Vorwürfe. Die deutsche SPD kritisierte, die Bundesregierung habe den lange bekannten Zuständen in den Schlachthöfen tatenlos zugesehen.

Im Bild: Schlachthöfe sind grundsätzlich nichts für sensible Gemüter. Ein Schlachthausmitarbeiter im französischen Blois.

Foto: EPA/Jocard

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Was vor einigen Jahren für viel Wirbel gesorgt hat, ist noch nicht zu Ende. Mittlerweile haben die Leiharbeiter-Kolonnen laut Süddeutscher Zeitung die Stammbelegschaften der Schlachthöfe oft ziemlich dezimiert. Demnach sorgen die "chinesischen Verhältnisse" in der deutschen Fleischindustrie inzwischen auch international für Ärger. Die belgische Regierung soll sich bei der EU-Kommission über Sozialdumping und Wettbewerbsverzerrung in Deutschland beschwert haben. Die Billigkonkurrenz aus Deutschland soll inzwischen auch den belgischen Fleischverarbeitern zu schaffen machen und einen "Schlacht-Tourismus" fördern.

Im Bild: Ein Hendl in einem Geflügelschlachthaus in Liege in Belgien.

Foto: Reuters/DOPPAGNE

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Auch in Österreich spürt und beklagt man die Auswirkungen. "Österreichs Wurstproduzenten kaufen zunehmend bei deutschen Firmen ein, weil diese um bis zu 20 Prozent günstiger anbieten als österreichische Betriebe", hat Hans Schlederer, Chef der heimischen Schweinebörse jüngst im Kurier kund getan. Kolportiert werden Stundenlöhne von 3,50 Euro für Hilfs- und sechs Euro für Fachpersonal. Hierzulande soll das Lohnniveau um zwei bis drei mal höher liegen.

Im Bild: Ein Schlachthaus in München.

 

Foto: Reuters/Dalder

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Vier große Betriebe (Vion, Tönnies, Westfleisch, Danish Crown) beherrschen laut Schätzungen von Branchenkennern in Deutschland rund 60 Prozent des Marktes. Die Hälfte der Ware geht in den Export. Tönnies soll alleine am Standort Rheda-Wiedenbrück 100.000 Schweine pro Woche schlachten - soviele schaffen alle 200 Schlachtbetriebe Österreichs gemeinsam.

Im Bild: Münchner Schlachter bei der Arbeit

Foto: Reuters/Dalder

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Lohndrückerei im Gewerbe ist übrigens keineswegs eine Erfindung der Gegenwart. Ebensowenig wie es diverse Skandale um die Fleischproduktion sind. Mit Gammelfleisch wusste man schon vor gut 100 Jahren in der Branche kreativ umzugehen.

Im Bild: Begutachtung auf den BSE-Virus in Hamburg.

Reuters/Charisius

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Verdorbene Ware werde nicht vernichtet, sondern mit Pökel-Lake abgespritzt, um wieder auf den Markt zu kommen. War ein Schinken schon so faulig, dass selbst konzentriertes Salz den widerlichen Geruch nicht übertünchen konnte, löste man den Knochen aus, um den herum gewöhnlich die am schlimmsten betroffenen Stellen lagen, und brannte das Loch mit einem glühenden Eisen aus. Und wenn diese Tricks nichts mehr nützten, wurde das Ekelfleisch zerhackt und mit einer halben Tonne gutem Fleisch vermengt. So geschehen in Chicago, zusammengetragen und berichtet vom Schriftsteller und Journalisten Upton Sinclair.

Im Bild: Eine undatierte Aufnahme aus der Chicago History Museum Photo Collection

 

Foto: AP/Chicago History Museum Photo Collection

Sinclair beschrieb die Produktion als "Fleischgewinnung mit angewandter Mathematik". Was er hinsichtlich der Arbeitsbedingungen zusammentrug, klingt irgendwie vertraut: "Da saßen Männer, die die Seiten und den Rücken schabten, und andere, die den Körper innen sauber putzten und auswuschen. Blickte man in den Saal hinunter, sah man eine hundert Meter lange Reihe hängender Tierleiber, die sich langsam vorwärts bewegte, und alle Meter gab es einen Mann, der werkte, als hetze ihn ein Teufel."

Im Bild: Eine alte Ansicht aus dem Postkartenmuseum

Foto: chicagopostcardmuseum

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Wer an weiteren Details interessiert ist, kann sich an Sinclairs Beschreibung der Wurstproduktion delektieren. Was zur Verarbeitung gelangte? Alles Wurscht (auf gut österreichisch: egal). Alte Würste, die schon einen weißen Schimmelbelag hatten, wurden mit Borax und Glyzerin verschönt und wieder verkauft. Fleisch, das auf dem Fußboden in Schmutz und Sägemehl lag, auf dem die Arbeiter herumgetrampelt und ihre Tuberkulosebazillen gespuckt hatten - ab in den Wurstkessel.

Im Bild: Ein Schlachthof in Mücheln bei Leipzig, diese Kuh hat ihr Leben bereits verwirkt.

Foto: Reuters/Wiegmann

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Wer noch nicht genug hat, möge weiterlesen: Ware, die gestapelt in Hallen lagerte, in denen von löchrigen Dächern Wasser tropfte, und auf der tausende Ratten ihren Kot hinterlassen hatten - ab in den Fülltrichter. Um der Rattenplage Herr zu werden, wurde giftiges Brot ausgelegt. Auch die toten Tiere wusste man zu verwerten: Sie landeten - erraten - ebenfalls im Wursttrichter.

Im Bild: Ein Schlachthaus in Nicaragua.

Foto: AP/Felix

Wer immer noch meint, früher war alles besser, kleiner, überschaubarer, führe sich folgendes zu Gemüte: Die Union Stockyards waren die größte Fleischfabrik der Welt. 1865 im südlichen Vorort von Chicago Town of Lake eröffnet, dehnten sie sich Anfang des 20. Jahrhunderts über eine Fläche von 200 Hektar aus. Die Stockyards waren eine Stadt in der Stadt. Es gab eine Bank, ein Hotel, ein Dampfkraft- und ein Elektrizitätswerk, eine Kesselschmiede etc. 13 000 Pferche, 480 Kilometer Gleisanlagen, 40 Kilometer Straße, 150 Kilometer Rohrleitung, 10 000 Hydranten ...

Im Bild: Ein Speicher im Jahr 1890

Foto: museum.state.il.us

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... und natürlich Tiere, Tiere, Tiere, so wie in jedem anderen zeitgemäßen Schlachthof auch. Im Bild zum Beispiel: Einer der größten Schlachthöfe in Indonesien, da ging es allerdings dem Geflügel an den Kragen.

Foto: Reuters/Tri

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"Nach systematischen Gesichtspunkten, in Einklang mit der Aufklärung unserer Zeit und dem Fortschritt in unserem Land" werde in den Stockyards geschlachtet. So hieß es 1875 im Jahresbericht der Pork Packers' Association of Chicago. Und weiter: "Die hervorragende Art, wie in Chicago alljährlich hunderttausende von Rindern und mehr als eineinhalb Millionen Schweine und Schafe empfangen, untergebracht, ernährt und verschickt werden, ruft die Bewunderung der ganzen Welt hervor."

Im Bild: Chinesische Schweinderl. Auch für sie geht es dem Ende zu. Ein Käfig vor einem Schlachthof in einem Vorort von Beijing.

Foto: Reuters/Lee

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Die Chicagoer waren übrigens außerordentlich stolz auf ihre Yards. Überliefert ist, dass ein Beobachter anlässlich der Eröffnung meinte, das nahe gelegene Hough House Hotel könne in absehbarer Zukunft ein beliebter " Erholungsort" werden. Tatsächlich wurden die Schlachthöfe bald zu einer Touristenattraktion. Ganze Schulklassen wurden durchgeschleust.

Im Bild: Das war einmal eine ganze Ente. Ein Schlachter bei der Arbeit in Andenne, Belgien.

Foto: Reuters/Lenoir

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Möglicherweise eine Idee, die man in die Gegenwart übertragen könnte? Eine potenzielle Einnahmequelle, um sich Löhne für die Mitarbeiter leisten zu können? Das wäre wiederum dann nicht getreu dem historischen Vorbild.

Im Bild: Ein Mitarbeiter eines Schlachthofes 2001 in Nordrhein-Westfalen. Im Rahmen einer EU-Aktion zur Marktentlastung, sollten damals in Deutschland bis zu 400 000 Rinder vernichtet werden.

Foto: AP/Scheidemann

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Denn - und da wären wir wieder am Anfang der Geschichte - Sklavenlöhne wurden auch damals gezahlt. Massen europäischer Einwanderer hatten quasi für einen nie versiegenden Zustrom an Billigarbeitskräften gesorgt. Auch was sich sonst in der Branche abspielte, kommt irgendwie bekannt vor: Fleischbarone gegen lokale Schlachter, lokales gegen zugeliefertes Fleisch. Die lokalen Schlachter standen damals übrigens auf verlorenem Posten. (rb, derStandard.at, 25.6.2013)

Im Bild: Ein Schlachthaus in Alto Alentejo in Portugal.

Foto: EPA/Veiga