Sie geizt mit Adjektiven, und Beschreibungen sind ihr ein Graus: Lydia Davis.

Foto: David Ignaszewski

Nun wurde Davis mit dem Man Booker International Prize ausgezeichnet .

Wien - Irgendwie gibt es da eine Verbindung: Die 65-jährige Lydia Davis ist in den USA als preisgekrönte Übersetzerin wortgewaltiger Autoren wie Proust und Flaubert bekannt, andererseits verfasst sie Kurzgeschichten, die oft nur wenige Zeilen umfassen. Die Verbindung dieser an den verschiedenen Enden der Literatur angesiedelte Extreme könnte sein: Sie hat wenig Zeit, weil die französischen Dichter so viel schrieben. Oder vielleicht ist ihr der Roman, dem schon Balzac den Tod voraussagte, weil er die Industriegesellschaft kaum abbilden könne, scheint's keine zeitgemäße Form mehr. Dagegen spräche freilich Davis' eigener Roman Das Ende der Geschichte von 1995 (dt. 2009), dem mäßiger Applaus hinterherwehte. Allerdings: 1986 begeisterte sie mit Break it Down, und seither hören die Lobeshymnen für ihre äußerst knapp gearbeitete Kurzprosa nicht auf.

Nun ist Lydia Davis, deren Vater Literaturkritiker und Englischprofessor war und deren Mutter Kurgeschichten schrieb, für ihre Erzählungen mit dem Man Booker International Prize ausgezeichnet worden. Im lose überblickten Durchschnitt halten sich Lydia Davis' Prosastücke bei zweieinhalb Druckseiten, der Literaturkritiker James Wood vom New Yorker nennt sie auch "short short stories". So notiert sie unter der Überschrift Idee für einen kurzen Dokumentarfilm: "Vertreter verschiedener Nahrungsmittelfirmen versuchen ihre eigenen Verpackungen zu öffnen." Und fertig. Scheinbar füllt Davis karge Zeilen mit Gedankensplittern. Manchmal lassen sie sich deshalb mit Lichtenbergs Sudelbüchern vergleichen. Doch Lichtenbergs Aphorismen pendeln stets irgendwo zwischen Humor, Literatur und Philosophie - und gerade das vermeidet Davis. Nichts an ihrer Prosa will ins Sentenzhafte, es gibt keine Moralistik.

So lässt bereits die Überschrift Meat, My Husband aus Almost no Memory (1997) einerseits eine Erzählung über die Essgewohnheiten des Gemahls erwarten, andererseits entspricht die Überschrift lautmalerisch auch " Lernen Sie meinen Ehemann kennen". Und das tut man auch, anhand der gesunden, mageren und aufwändigen Küche der Erzählerin. Eigentlich geht es ums Kochen, dahinter eröffnet sich ein Universum von Missverständnis, Streit und letztlich Leere. Mit dünnen Worten über das Essen sublimiert Davis die Mühen, dem Partner zu gefallen, die Enttäuschung, die sich hintenrum einschleicht, die Rollenverteilung, der Sex - ohne auch nur einen Millimeter aus der Küche herauszutreten.

Essen mit Desertbirne

Ihre Sprache ufert nie aus, Details und Metatexte spart sie sich. Sie ist genau, indem sie redundant und fahl Szenen der Ehe, der Kindererziehung oder des Alltags herausarbeitet. Sie geizt mit Adjektiven, Beschreibungen sind ihr ein Graus.

Davis' Erzählungen haben einen minimalen narrativen Rahmen, oft genug leistet ihn einzig die Überschrift, die dann Mrs. D. und ihre Hausmädchen heißt. Personen treten nur durch ihre Handlungen auf. Und genau genommen werden die nicht erzählt, sondern im Protokollstil präsentiert oder als Innenansicht der Handelnden erlebt. Sei es die Knappheit, das Unmittelbare der Sprache oder, dass sie mitunter den Stil einer Provinzzeitung kopiert: Davis Sprache legt sich wie ein Kontrastmittel über den Alltag. Sie ist ansteckend. In Meat, My Husband erfasst sie die Rolle der Frau im Licht der männlichen Kommentare, indem sie sich selbst als Köchin porträtiert.

Am Ende war der Ehemann ein einziges Mal begeistert, nämlich vom Nachtisch. Allerdings: Er selbst hatte die Desertbirne in den Kühlschrank gelegt und damit dem Rezept entsprochen. Davis' Sprache bedeutet wohl auch eine der größten Schwierigkeiten für die Übersetzung, die Klaus Hoffer für den Droschl-Verlag besorgt.

Wer das englische Original liest, kann viele Kleinigkeiten entdecken, die bei Hoffer verlorengehen oder überzeichnet werden. Hoffers Sprache ist barocker, sie scheint die ewigen Wiederholungen nicht auszuhalten, mit der sich Mann und Frau streitlos ihre hartnäckige Differenz beweisen. Manchmal ist guter Rat auch teuer - aus Meat, My Husband macht Hoffer: Fleischliche Liebe.

Kulturelle Zwischentöne

Der Titel zeigt, wie schwer es ist, Davis gerecht zu werden. Während sie viele kulturelle Aspekte konnotiert, müssen diese im Deutschen bezeichnet und oft erklärt werden. Genau der Unterschied zwischen Konnotation und Denomination unterschlägt viele kulturelle Zwischentöne, die Davis verwendet und damit eine Erzählform kultiviert, die sich scheinbar schnell liest. Dafür aber langsam den Blick auf die Welt verändert. (Lennart Laberenz, DER STANDARD, 25.6.2013)