Grillen als kulturanthropologischer Crashkurs für Albanien - das ist jedes Jahr im August das Bektaschi-Fest auf den Berghängen des Tomorr.

Foto: Martin Heusinger

Flug von Wien oder München nach Tirana zum Beispiel mit Austrian oder BelleAir - ab 170 Euro. Alternative: Mit der (Auto-)Fähre von Venedig via Korfu nach Sarandë. Autovermietung vor Ort: Kleinautos mit Vollkasko und ohne Kilometerbegrenzung ab 28 Euro pro Tag. Ein internationaler Führerschein ist nicht nötig. Nahezu alle Fernstraßen sind asphaltiert und in relativ gutem Zustand. Von Nachtfahrten ist abzuraten. Öffentlich: Überlandbusse sind sehr preiswert. Praktisch jeder Ort ist mit Bussen zu erreichen. Oft verkehren auch Kleinbusse, sogenannte Furgons, die überall halten. Transfer von Tirana zum Bektaschi-Fest siehe unten.

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Hotels und Pensionen sind mittlerweile im ganzen Land zu finden - vor allem Zimmer in Privatpensionen sind oft ganz neu und sehr komfortabel . Die Preise für ein DZ liegen zwischen 15 und 50 Euro - es kann meistens auch in Euro bezahlt werden. Hilfreiche Infos gibt's von der Botschaft der Republik Albanien, Prinz-Eugen-Straße 18/1/5, 1040 Wien, Tel. +43/1/328 86 56, E-Mail: albemb.vie@chello.at;

Buchtipp: Die fünfte, gerade erst aktualisierte und erweiterte Auflage des Albanien-Reiseführers vom Trescher-Verlag bietet viele praktische Tipps für Individualreisende. Renate Ndarurinze: "Albanien". Trescher, Berlin 2013, 36 Seiten, 18,50 Euro

Foto: Trescher-Verlag

Das Bektaschi-Fest auf dem Berg Tomorr beginnt stets um den 20. August und dauert zirka eine Woche. Auf dem Kulmak-Pass kann frei gezeltet werden. Unterkunftsmöglichkeiten sind nicht vorhanden. Essen und Getränke können vor Ort gekauft werden. Individueller Transfer: mit dem Bus von Tirana nach Berat, anschließend nach Polican. Dort warten Sammeltaxis. Die Fahrt von Polican auf den Kulmak-Pass kostet rund 7 Euro und dauert eine Stunde; oder mit Veranstalter:

Das auf Albanien spezialisierte Reisebüro "Reisen in Albanien" vermittelt von 19. 8. bis 23. 8. 2013 eine Wanderreise zum Fest: www.reisen-in-albanien.de, organisiert vom albanischen Reiseveranstalter "Berati Tours Albania".

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Aus allen Ecken scheppert Musik. Klarinetten sind zu hören, ohrenbetäubende Zurna-Bläser und balkanischer Rap. Es riecht nach Holzkohle und gegrilltem Fleisch. Lämmer blöken. Überall sind Verkaufsstände aufgebaut, überall lagern Hirten, Fleischhauer und Devotionalienhändler. Großfamilien sitzen auf Decken und kochen. Was aussieht wie eine wilde Party aus einem Kusturica-Film, ist das höchste Fest der Bektaschi. Jeden August pilgern tausende Albaner zum Gipfel des 2400 Meter hohen Tomorr, des heiligen Berges der Bektaschi, wo Abaz Ali, ein schiitischer Märtyrer, begraben liegen soll.

Auf dem Kulmak-Pass östlich von Berat steht der Gebetsraum der Bektaschi, die Tekke. Seine Hoheit, Dedebaba Edmond Ibrahimi, wird erwartet. Dedebaba bedeutet Obergroßvater, er ist das Oberhaupt des Derwischordens der Bektaschi. Der Orden geht zurück auf den islamischen Mystiker Haji Bektash Veli, der im 13. Jahrhundert in Anatolien lebte. Die Bektaschi sind keine orthodoxen Muslime. Sie beten nicht fünfmal am Tag, Alkohol ist nicht verboten, und in der Tekke sitzen Männer neben ihren unverschleierten Frauen. Als Sultan Mahmud den Orden 1826 auflöste und die Tekken schloss, flüchteten viele Bektaschi nach Albanien.

Die wenigsten Pilger auf dem Tomorr sind bekennende Bektaschi. Ardian Sejdiu (44) umrundet die Gräber heiliger Derwische neben der Tekke. Er küsst die Steinplatten, legt Geld und Fürbitten nieder, dann zündet er Kerzen an und bekreuzigt sich. "Ich bin Christ, meine Frau Muslimin", sagt er. Völlig normal im laizistischen Albanien, wo die Mehrheit zwar dem Islam angehört, aber Mischehen an der Tagesordnung sind. Wo Kirchen neben Moscheen stehen und arabische Missionare an der liberalen Religiosität der Albaner verzweifeln. Albaner sind ein pragmatisches Volk. Sich die Köpfe in einer letzten Wahrheit einzuschlagen käme ihnen nicht in den Sinn.

Der böse Blick und Plüsch

Rund um die Tekke - was so viel bedeutet wie Rückzugsort - sind dutzende Stände aufgebaut. Raki, Kaffee und Köfte sind zu haben, Amulette gegen den bösen Blick, Plüschschafe und Heiligenbilder von Abaz Ali. Familien flanieren auf und ab. Kinder winken Touristen, und Mädchen in Jeansröcken kichern verlegen: "Woher kommst du? Wie gefällt dir Albanien?" Noch immer sind Fremde ein ungewohnter Anblick.

Seit der Machtübernahme Enver Hoxhas 1944 war Albanien bis in die frühen 1990er-Jahre ein verschlossenes Land. Europas letzter stalinistischer Diktator ließ 700.000 Bunker bauen, die meisten davon an den Landesgrenzen. Als Hoxha 1985 starb, hinterließ er ein Land mit kaum vorhandener Infrastruktur, in dem 2000 Autos über eine Handvoll Straßen rumpelten, ärmlich bekleidete Arbeiter in bröckelnden Gebäuden lebten und nicht wussten, woher sie Ersatzteile beschaffen sollten, wenn in der Wohnung ein Rohr brach oder der Gasherd nicht funktionierte. 1990 brach der Kommunismus zusammen, aber Albanien, wo an diesem Sonntag, dem 23. Juni, ein neues Parlament gewählt wird, öffnet sich erst langsam.

Heute ist es dennoch ein Kinderspiel, durchs Land zu reisen, in dem 2,8 Millionen Menschen leben und das in etwa so groß ist wie Belgien. Albanien ist ein sicheres Reiseland. Vorbei sind die unruhigen Zeiten, als Kreditpyramiden zusammenbrachen und das Volk, seiner Ersparnisse beraubt, wutentbrannt Armeedepots plünderte und sich mit Kalaschnikows und Handgranaten bewaffnete und staatliche Einrichtungen zerstörte. Albanien hat Potenzial.

Hohe, zerklüftete Berge im Norden, eine sandige, sonnenbeschienene Küste im Süden, und über das ganze Land verstreut findet man Unesco-geschützte Altstädte - in Berat kopfsteingepflasterte Gassen, geweißelte Steinhäuser mit Mönch- und Nonnenziegeln gedeckt und mit Holztoren, großen Fenstern und rosettenverzierten Holzdecken ausgestattet; in Gjirokastër ein steinernes Gewirr aus Treppen, Gassen und Herrenhäusern, den Kullën, dreistöckig, wehrburggleich, gut 13 Meter hoch. Und überall finden sich Hotels und Pensionen.

Was in anderen Ländern weitere touristische Infrastruktur nach sich ziehen würde, steckt in Albanien noch immer in den Kinderschuhen. Vieles ist improvisiert. Das hat Charme. Die Menschen sind neugierig und hilfsbereit. In Kaffeehäusern und Restaurants wird das halbvolle Weinglas sofort nachgeschenkt, und nach jeder Zigarette leert der Kellner den Aschenbecher, nie mangelt es an Aufmerksamkeit, die nichts mit pekuniärer Tüchtigkeit zu tun hat. So auch auf dem Tomorr.

Im Raki-Reigen mit Fremden

Familien laden Reisende zu Raki und Lammspießen ein, und wo im Reigen getanzt wird, nimmt man Fremde nicht selten an die Hand. Die ersten Pilger und Touristen tanzen bereits in einem der Verschläge aus Holz und Plastikbahnen. Frömmigkeit und Wunderglaube liegen in der Luft. Unter den Jüngeren herrscht dagegen Partylaune. "Die Türen sind offen für alle", sagt Valmir Fetah (68), der die Rolle des Gastgebers in der Tekke übernommen hat.

Er steht in der Küche, in der das Essen für die Helfer des Pilgerfests zubereitet wird. In riesigen Kochtöpfen schmort Lamm, Gemüse wird geschnitten. Fetah kümmert sich um das Programm, bereitet den Empfang des Oberhaupts und der Derwische vor. Dieses Mal darf aber nicht wie sonst im Hof der Tekke getanzt werden. "Wir trauern noch immer um unser kürzlich verstorbenes Oberhaupt Reshat Bardhi", sagt Valmir Fetah.

Bardhi war der erste Dedebaba seit dem Fall des Kommunismus. Während der stalinistischen Diktatur saß er 32 Jahre in Lagerhaft und musste im Straßenbau und in Steinbrüchen arbeiten. Sein Vergehen: Er war ein Baba, ein Vorsteher einer Tekke. 1967 verhängte Staatschef Enver Hoxha ein totales Religionsverbot. Albanien, der erste atheistische Staat der Welt, wandelte Moscheen und Kirchen zu Turn- und Lagerhallen um. Die Tekke der Bektaschi in Tirana wurde zu einem Seniorenheim umfunktioniert und das Fest auf dem Tomorr verboten.

Für die Bektaschi ist Reshat Bardhi ein Märtyrer. "Etwa ein Viertel aller Muslime im Land sind Bektaschi", sagt Valmir Fetah. Der Orden sei von Bedeutung für die nationale Identität. Dass gerade viele Albaner zum Christentum konvertieren, weil es die vorherrschende Religion in der Europäischen Union ist, sagt er nicht. Im ganzen Land sieht man EU-Flaggen wehen. Sie sind der sichtbar gewordene Wunsch, die jahrzehntelange Abschottung ein für alle Mal zu überwinden.

Gleich neben der Tekke befindet sich der Taxistand zum Grabmal von Abaz Ali. Es sind sieben Kilometer bis zum 2400 Meter hohen Gipfel. Wo früher Pilger neben Packeseln den Berg hinaufstiegen, preschen heute Jeeps, auf der Ladefläche Schafe und Familien. Zu Fuß geht keiner, obwohl es abseits der Piste noch einen Fußweg gibt. Er führt vorbei an Pinien und Eichen, schlängelt sich die steilen, schottrigen Hänge hinauf und verliert sich schließlich in Geröllfeldern.

Mit jedem Höhenmeter schwindet der Kulmak-Pass, und es wachsen der Himmel und das Grabmal von Abaz Ali. Hierher soll seine Seele auf einem Pferd geflogen sein, nachdem er in der Schlacht von Kerbala, 680, umkam. So will es die Legende. Das kleine, zwölfeckige Mausoleum mit Kuppeldach und einem grünen, um das Mauerwerk gespannten Band, ist das Ziel aller Pilger. Ehrfürchtig berühren sie das Eingangstor, küssen es und treten dann ins heilige Innere.

Zwischen Erde und Sternen

"Möget ihr hundert Jahre alt werden", begrüßen Wächter die Pilger. Auf dem Sarkophag liegen Geldscheine und Blumen, und von den Wänden blicken edelgesichtige Imame. Wie alle Religionen hat auch der Bektaschi-Orden einen Sinn für das Schöne und Erhabene: Der Gipfel des Tomorr ist der Übergang zwischen der Erde und den Sternen. Wie ausgestreckt liegt Albanien da, zur Miniatur geschrumpfte Berge, Städte, Flüsse - groß und zum Greifen nah dagegen die Sterne.

Bricht die Nacht herein, brummen auf dem Kulmak-Pass alle Generatoren. Holzkohle glimmt, hunderte von Lämmern drehen sich auf Spießen. Aus einem Verschlag dringt Musik, einige spielen, als ginge es um ihr Leben. Ein akustisches Gefecht aus Klarinette, Schlagzeug und Keyboard. Sieben Männer tanzen im Halbkreis. Sie halten sich an den Händen. Schweiß rinnt den Tanzenden über die Stirn. Auf den Stühlen wird geklatscht und gepfiffen.

Das Oberhaupt der Bektaschi sei eben eingetroffen, ruft jemand ins Zelt hinein. Gläser werden erhoben. "Auf den Dedebaba", prostet einer. "Auf das Leben", ruft ein anderer. Und für einen Moment fühlt es sich an, als sei man nicht bloß auf einem Fest, sondern mittendrin, mitten in einer Erzählung aus Albanien. (Richard Fraunberger, DER STANDARD, Album, 22.6.2013)