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Bessere Zeiten? Inauguration eines Bootes aus der minoischen Kultur in Chania, Dezember 2003.

Foto: epa/attiki odos

Heraklion/Chania - Kreta-Urlaubern dürfte Chania ein Begriff sein. Aber sonst? Auch wenn die zweitgrößte Stadt der griechischen Insel eine bewegte Geschichte hinter sich hat und kurzzeitig sogar Hauptstadt Kretas war, ist sie international relativ unbekannt. Im Bereich Sozialpolitik sieht sich die knapp 120.000 Einwohnern zählende Stadt aber als Vorreiterin Griechenlands.

Fanal Sozialmarkt

"Unsere Priorität liegt eindeutig im Sozialbereich. Den Leuten in der Krise zu helfen, ist unsere Hauptanliegen", erklärt Bürgermeister Manolis Skoulakis. Armut sei ein großes Problem, aber nicht nur auf Kreta. "Die Situation ist wirklich schlecht", sagt der Medizinprofessor bedrückt. Skoulakis legt Wert auf die Tatsache, kein Mitglied einer Partei zu sein. Früher, ja, sagt seine Mitarbeiterin, da habe er der sozialistischen PASOK angehört. Aber seit er 2011 zum Bürgermeister gewählt wurde, ist der frühere Gesundheitsminister unabhängig und verfügt über Berater aller politischen Couleurs.

Besonders stolz ist die Gemeinde auf den erst im vergangenen Jahr - wegen der während der Krise steigenden Armut - eröffneten Sozialmarkt. Und die Nachfrage ist groß. 350 Familien aus dem Großraum Chania kommen monatlich, um Lebensmittel aller Art "einzukaufen". Geld benötigen sie dafür jedoch keines. "Wir prüfen nach sozialen und wirtschaftlichen Kriterien, welche Familien Hilfe brauchen", erklärt Helen Kteniadaki. Sie ist verantwortlich für die Verteilung der Lebensmittel. Um Kleidung, Spielzeug oder Schulsachen zu erhalten, kommen pro Monat weitere 200 Familien zu ihr. "Alle zusammen können wir mehr erreichen", das ist das Motto des Sozialprojektes, sagt sie stolz.

Zusammenhalten

Dass alle zusammenhelfen - das ist in Zeiten der Krise auch notwendig. Die öffentlichen Gelder durch die Regierung in Athen seien um 70 Prozent zurückgegangen, sagt Skoulakis. Dafür beteiligen sich immer mehr Freiwillige an den Programmen der Gemeinde. "Zwar haben die Leute kein Geld, aber sie helfen uns mit Taten oder spenden Lebensmittel", so der Bürgermeister.

Mehr Notwendigkeit als Tugend scheint der Ausbau der Sozialleistungen, der seit zwei Jahren ganz oben auf der Agenda Chanias steht, zu sein. Im Vergleich zu 2011 stieg die Zahl der Bedürftigen im vergangenen Jahr um das doppelte. In den ersten fünf Monaten 2013 hat sich die Zahl der Fälle von 2012 bereits erneut verdoppelt.

In Zukunft investieren

Der Sozialmarkt ist aber nicht das einzige Programm Chanias, um Bedürftige zu unterstützen. Die Gemeinde sieht sich auch als Vorreiterin im Bereich Ausbau der Infrastruktur für körperlich behinderte Menschen, deshalb wurden verschiedene Adaptionen im öffentlichen Raum vorgenommen. Im Sommer gebe es außerdem zwei Fahrzeuge, die etwa Rollstuhlfahrer oder ältere, gehbehinderte Menschen zum Strand brächten.

Insgesamt 124 Kindern aus armen Familien würde man private Förderstunden finanzieren. Und Notleidende, die nicht selbst in den Sozialmarkt kommen, würden frei Haus mit Lebensmitteln versorgt. Medizinische Versorgung ist Skoulakis als gelerntem Arzt besonders wichtig. Vorsorgeuntersuchungen für Frauen und Kinder werden deshalb gratis angeboten. Etwas außerhalb der Stadt arbeite man derzeit auch am Ausbau von Gemeinschaftsgärten, "damit die Familien ihr eigenes Gemüse anbauen und ernten können", betont Vize-Bürgermeisterin Chrisoula Hatzidaki.

Verdächtiges Eigenlob

Die kretische Stadt sei in ständigem Kontakt und Austausch mit anderen Gemeinden, weil man positive Projekte gegebenenfalls auch in Chania einführen möchte, erklärt die Pressesprecherin. "Aber derzeit kennen wir niemanden, der mehr für seine Bürger macht als wir."

Ob die engagierten Pläne nur am Papier existieren oder auch tatsächlich in vollem Ausmaß umgesetzt werden, ist fraglich. Denn vor knapp einem Jahr brüstete sich Skoulakis noch damit, dass seine Gemeinde nach einer harten Sparreform und Ausgabenkürzungen völlig schuldenfrei sei. "Wir sind wirklich ein Beispiel, wie eine disziplinierte Haushaltspolitik greifen kann. Es ist eigentlich ganz einfach: Du erhöhst die Einnahmen und reduzierst die Ausgaben. Genau das, was unser schwerfälliger Staat immer wieder ankündigt, aber leider nicht schafft", sagte der Stadtchef damals im Interview mit dem deutschen Sender ZDF. (Christina Schwaha, APA, 23.6.2013)