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Keine Chance gegen die Großen: Ein Anhänger der nationalistischen rot-schwarzen Allianz.

Foto: EPA/Babani
Quelle: Standard

"Wiedergeburt" steht auf den großflächigen violetten Plakaten der Sozialistischen Partei. Sozialistenchef Edi Rama ist nicht nur auf Häuserwänden, sondern auch als Dauerredner im Fernsehen omnipräsent. Auch die Demokraten von Premier Sali Berisha haben sich den Wahlkampf etwas kosten lassen. Ihre blaue Fahne hängt an jeder Straßenecke. Und Berisha ist auch vom vielen Reden schon ziemlich heiser. Kein Mensch weiß, woher das Geld für die viele Wahlwerbung kommt. "Wir glauben an Gott", lässt eine Partei plakatieren. Eine andere ruft zur Polygamie auf und unterstützt den türkischen Premier Tayyip Erdogan. "Wir sind der Wandel", verkünden die Demokraten, die seit acht Jahren an der Macht sind. Inhalte fehlen.

Wie auch Programme - etwa die notwendige Reform des Bildungswesens, landwirtschaftliche und industrielle Entwicklung oder die Einführung der völlig fehlenden Rechtsstaatlichkeit - gar nicht diskutiert werden. Durch Wahlen wurde in Albanien auch bisher nicht entschieden, ob das Land weiter nach links oder rechts rückt. Die zwei großen Parteien bezeichnen sich als sozialistisch und als konservativ, sind aber weitgehend ideologieferne Klientelvertretungen. Im Grunde geht es am Sonntag darum, wer später die 80.000 Jobs in der öffentlichen Verwaltung bekommt. Angesichts von 2,8 Millionen Einwohnern scheint dies nicht so bedeutsam. Doch die meisten Albaner leben von Subsistenz-Landwirtschaft. Deshalb sind ganze Familien von den Beamtenjobs abhängig.

Die Regierungspartei unter dem charismatischen, aber auch skrupellosen Berisha versucht indes, ihre Macht zu sichern. Lehrer wurden dazu verpflichtet, bei Wahlveranstaltungen mit Schülern aufzutauchen und dem Premier zuzujubeln. In Ämtern werden Listen erstellt, damit Beamte mitsamt Familie beim "richtigen" Block ihr Kreuzerl machen. Jenen, die nicht als "loyal" gelten, würden mitunter die Identitätskarten weggenommen, damit sie nicht wählen gehen können, erzählt der Journalist Besar Likmeta.

Handyfotos als Wahlbeweis

Zu spät kam der Vorschlag, Handys in den Wahlkabinen zu verbieten, mittels derer die Parteien später per Handyfoto das Wahlverhalten "überprüfen" können. Organisiert werden aber Busse, mit denen Bürger von der einen in die andere Stadt gehievt werden, um Mehrheiten zustande zu bringen. Stimmenkauf (etwa mit Kühlschränken oder Kühen) sind keine Seltenheit. Dazu kommt, dass die Wahlen bereits im Vorfeld umstritten sind. In der Wahlkommission sitzen nur vier statt neun Mitglieder. Denn die Sozialisten haben ihre Vertreter abgezogen. Eine Beglaubigung der Wahlen wird aber ohne Mehrheit nicht möglich sein. Viele fürchten deshalb eine Eskalation, wenn es keinen klaren Gewinner gibt.

Innere Emigration

"Wenn nur zwei Mandate Unterschied sind, kann es gefährlich werden", warnt etwa der Leiter der Open Society Foundation, Andi Dobrushi. Auch der Intellektuelle Fatos Lubonja fürchtet, dass militante Anhänger aufeinanderprallen könnten. Er ruft diesmal dazu auf, den Wahlzettel schlichtweg durchzustreichen.

Denn Rechtsstaatlichkeit, die sich die Bürger am dringendsten wünschen, ist kein Wahlkampfthema. Viele Leute würden ins innere Exil gehen. "Sie schauen kein Fernsehen und sprechen nicht mehr über Politik", sagt Lubonja. "Vor ein paar Jahren haben wir noch gehofft. Aber jetzt? Vielleicht ist das nun das System, das uns bleiben wird", meint der Mann, der während des Kommunismus jahrelang im Gefängnis saß. Er setzt seinen schwarzen Sonnenhut auf und verschwindet in der albanischen Sommerhitze. (Adelheid Wölfl, DER STANDARD, 21.6.2013)