STANDARD: Die US-Notenbank Fed hat mit dem Ankauf von Anleihen, also dem Anwerfen der Notenpresse, auf die Finanzkrise reagiert. Aktuell werden mehr als eine Billion Dollar an Wertpapieren pro Jahr gekauft. Die richtige Politik?

White: Nein. Die Geldpolitik zögert notwendige Anpassungen hinaus. Bei der ersten Welle der Staatsanleihenkäufe 2008 (Quantitative Easing, QE1, Anm.) waren sich noch alle Ökonomen einig. Die Interbankenmärkte waren kaputt, und die Geldpolitik musste alles unternehmen, um die Märkte zu unterstützen. QE2 ist eine andere Baustelle. Fed-Chef Ben Bernanke hat damals eine Rede in New York gehalten und öffentlich gestanden, dass es darum geht, dass sich die Leute vermögender fühlen. Das war eine ganz andere Motivation.

STANDARD: Die Fed hofft auf den Vermögenseffekt. Steigende Aktien- und Immobilienpreise sollen den Konsum beleben.

White: Das ist großteils Nonsens. Die Vorstellung, dass lockere Geldpolitik Wohlstand schafft, verletzt den gesunden Menschenverstand. Was ist denn Wohlstand? Das ist die wirtschaftliche Kapazität eines jeden Menschen, seinen Lebensstandard zu verbessern. Wenn aber die Geldpolitik die Immobilienpreise erhöht, sind wir dann als Gesellschaft besser dran? Erzählen Sie das meiner Tochter, die ein Haus sucht. Es geht denen besser, die Immobilien besitzen. Netto bleibt nichts übrig. Statistiker machen einen Fehler. Sie erfassen die Hauspreise, rechnen aber nicht die höheren Lebenshaltungskosten der Zukunft gegen. Das ist kein Wohlstand, nur statistische Manipulation.

STANDARD: Aber sollte die Zentralbank nicht das Vertrauen der Konsumenten stützen?

White: Das wäre wirtschaftlich falsch. Die Notenbank versucht die Menschen zu überzeugen, dass sie reicher als tatsächlich sind. Sie sollen rausgehen und die Wirtschaft mit ihrem Konsum ankurbeln mit Geld, das sie nicht haben. Das ist eine moralisch fragwürdige Manipulation.

STANDARD: Was bleibt den Notenbanken aktuell zu tun?

White: Der hundertste Jahrestag der Gründung der Fed wäre ein guter Grund, um die Geldpolitik zu überdenken. Die Fed wollte nie gegen Blasen am Finanzmarkt vorgehen, sowohl unter Alan Greenspan als auch unter Bernanke. Lieber möchten die Notenbanker nach dem Platzen einer Blase mit lockerer Geldpolitik den Schaden bekämpfen. Ich habe in der Vergangenheit immer wieder die Fähigkeit der Zentralbank unterschätzt, mit lockerer Geldpolitik die nächste Blase zu produzieren, um die vergangene Krise hinter sich zu lassen. Diese Vorgehensweise hat aber aggressive Politik gefordert. Doch es gibt Grenzen. Nur weil etwas in der Vergangenheit funktioniert hat, muss es in der Zukunft nicht weiter funktionieren. Die Zentralbanken haben die Korrektur der Exzesse am Finanzmarkt zu lange herausgezögert, aber jetzt ist ein Punkt überschritten.

STANDARD: Aber Booms und Krisen gehören doch zum Kapitalismus dazu, oder nicht? Der österreichische Ökonom Joseph Schumpeter etwa lobte stets die " schöpferische Zerstörung" im Kapitalismus.

White: Aber bei Schumpeter gehört die Zerstörung als fester Bestandteil dazu, damit etwas Kreatives entstehen kann. Die Notenbanken haben in den vergangenen Jahren begonnen, die gesunde Korrektur zu verhindern.

STANDARD: Welche Lehren sollen die USA und Europa aus der Krise ziehen, in der Japan seit zwei Jahrzehnten steckt?

White: Als die Krise in den 1990er Jahren mit voller Wucht Japan traf, waren die Probleme klar: massiv gestiegene Immobilienpreise waren auf Pump finanziert worden, durch die Banken. Doch Japan hatte ein politisches Problem. Die Baukonzerne, Banken und Immobilienunternehmen, die im Falle einer Marktbereinigung massiv gelitten hätten, waren wichtige politische Spender. Es gibt daher zwei Lehren aus Japan: Erstens muss man nach einer Bankenkrise schnell aufräumen, bevor die Wirtschaft in Lethargie verfällt. Zweitens muss man eine Vermischung zwischen der Politik und den wichtigsten Finanzinstituten verhindern. Wir haben in den USA eine unheilige Allianz zwischen der Politik und den Finanzinstituten. Dieses Interessenskartell haben wir in einigen Nationen, in denen die Finanzindustrie sehr groß ist.

STANDARD: Was ist die Lösung? Banken zerschlagen?

White: Ja. Aber es gab immer eine enge Verbindung zwischen der Politik und den Banken. Die Zentralbanken wurden ja alle gegründet, um Kriegsabenteuer zu finanzieren. Es ist sicher nicht einfach, die Symbiose zwischen Banken und Politik aufzubrechen, aber wir sollten es stärker versuchen. Schauen Sie sich die Themen an, die heute die weltweite Staatengemeinschaft umtreiben: riesige Banken, Geldwäsche und Steuerparadiese. Die Probleme sind seit Jahrzehnten dieselben, aber die Regierungen waren viel zu lange viel zu tolerant. (Lukas Sustala, DER STANDARD, 20.6.2013)