Badora über ihr Team: "Gott sei Dank sind Schauspieler ein Menschenschlag, der unglücklich ist, wenn er nicht spielt."

Foto: Lupi Spuma

STANDARD: Die Kulturministerin hat Ihnen jüngst den Titel Professorin verliehen. Was bedeutet Ihnen so etwas?

Badora: Man hat mir gesagt, wie wichtig das hier ist, deswegen finde ich das jetzt auch wichtig. (lacht)

STANDARD:  Also sind Sie schon mehr Österreicherin als Polin?

Badora: Ich sehe es vor allem als Anerkennung meiner Arbeit. Die Verleihung durch die Ministerin war berührend. Es kamen Studienkolleginnen, Leute aus meiner Berliner Zeit, Freunde aus Düsseldorf, Wien und Graz, meine engsten Mitarbeiter. Ich sah nie so viele Weggefährten versammelt. Ein wunderschönes Treffen, ein paar Stunden fürs Herz.

STANDARD: Sie haben permanent hohe Auslastungen und wurden im Vorjahr als die erfolgreichste Kulturmanagerin Österreichs ausgezeichnet. Wie managen Sie?

Badora: Es geht um konsequente Arbeit mit klaren Zielsetzungen, nicht verhandelbarem Qualitätsanspruch und die Zusammenstellung des Teams. Es braucht immer auch Glück, denn es kann alles superkonzeptionell sein, aber doch springt der Funke nicht über. Und ich muss sagen, in dieser Spielzeit überschreiten wir alle häufig unsere Belastungsgrenzen. Gott sei Dank sind Schauspieler ein Menschenschlag, der unglücklich ist, wenn er nicht spielt. Selten sagt wer, er braucht eine Pause. Erstaunlicherweise sind es zunehmend Väter. Viele im Ensemble sagen: "Ich hab jetzt ein Baby, die Mutter arbeitet oder studiert, ich brauche mehr Zeit." Das freut mich, weil es heißt, dass sich junge Väter mehr für ihre Kinder engagieren.

STANDARD: Sie wurden bis 2017 verlängert. Was hat Graz für Sie?

Badora: Mein Herzblut steckt in der internationalen Arbeit. Ich hatte schon in Düsseldorf zwei große Projekte zur Osterweiterung gemacht, doch ich hätte nicht gedacht, dass das auch in Graz so gut aufgeht. Als wir angefangen haben, war noch viel Skepsis da.

STANDARD: Von welcher Seite?

Badora: Von allen. Auch von uns. Wir merkten, dass die Grazer eher auf westliche Metropolen als nach Belgrad und Zagreb blicken. Doch dann starteten wir Hals über Kopf unser erstes internationales Projekt, "Blog the Theatre", mit fünf Ländern. Wir haben auch über ORF online gestreamt, den Zuschauerraum virtuell erweitert. Es hat bei der Europäischen Theaterunion Aufsehen erregt und wurde als bestes EU-gefördertes Theaterprojekt 2008 ausgezeichnet.

STANDARD: Ihr Haus wurde als einziges Österreichs Mitglied der Europäischen Theaterunion. Was heißt das konkret für Ihre Arbeit?

Badora: Es heißt, dass wir in den 17 Ländern und 19 Häusern der Theaterunion bekannt sind. Wir konnten in Graz politische Themen aufgreifen, wie beim Festival Emergency Entrance das Thema Migration. Wir sind schnell, weil wir uns kennen: Bei der letzten Konferenz in Paris erzählten die Athener von einer Show, in der Angela Merkel mit Hitlerbärtchen erscheint. In der Kaffeepause verabredeten wir spontan ein Projekt: "Greece:Austria", ein Streitspiel über neue nationale Vorurteile. Es spielt am 22. Juni in Graz, im Herbst in Thessaloniki.

STANDARD: Die Israelin Yael Ronen hat in Graz mit ihrem Stück "Hakoah Wien" heuer alle begeistert. Wie wird ihr neues Stück?

Badora: Es heißt "Niemandsland". Wir haben sie ermutigt, noch einmal ein ähnliches Prinzip anzuwenden. Also als Material das Leben zu verwenden, echte Schicksale. Da ist etwa ein israelisch-palästinensisches Ehepaar Jamina und Osama. Es ist sehr berührend, zu hören, wie sie erst versuchten, gemeinsam in Ramallah zu leben, dann in Jerusalem. Dann sind Sie nach Berlin gezogen, dann nach Wien. Sie haben nun gottseidank ein Visum. Sie werden ständig konfrontiert mit Leuten, die gegen Palästina oder Israel sind.

STANDARD: Eröffnet wird im Herbst mit "Thalerhof" von Andrzej Stasiuk. Sie führen Regie. Im Deportationslager Thalerhof, das in der k. u. k. Monarchie auf dem Areal des heutigen Grazer Flughafens errichtet wurde, waren Ruthenen, Bewohner der Bukowina und Galiziens, interniert. In der Ukraine kennt das jeder, oder?

Badora: Thalerhof ist dort in jedem Dorf bekannt. Es war sehr spannend, weil der Großvater eines Freundes von Stasiuk in Thalerhof interniert war. So begann Stasiuk, sich dafür zu interessieren. Wir besichtigten es zusammen: Die Gedenktafel, die beim Parkhaus hängt, die Minikapelle in Feldkirchen, wo 1.700 Skelette aus dem Lager verwahrt werden. Stasiuk sagte: Darüber schreibe ich. Wir sagten: Gut! Er legte alle anderen Projekte auf Eis und fing an.

STANDARD: Kam im Laufe der Arbeit mehr über das Lager ans Licht?

Badora: Es ist unglaublich, was sich manchmal zusammenfügt. Wir hatten ein Kindercasting, weil viele Kinder in dem Lager waren. Dann hörten wir von einem Mädchen hier in Graz, das aus der Ukraine stammt und unbedingt mitmachen wollte. Die Bewerbungsfrist war abgelaufen, und sie war auch etwas zu alt. Wir haben trotzdem mit ihr gesprochen. Jetzt muss ich ausholen: Eine Hauptfigur im Text ist ein russisch-orthodoxer Pfarrer, der sich für Ruthenen einsetzte, von der Obrigkeit erschossen und später heiliggesprochen wurde. Seine schwangere Frau brachte in Thalerhof seinen Sohn zur Welt. Und diese Neunjährige erzählt mir beiläufig: "Mein Urgroßvater ist ein Heiliger." Ich sagte: "Wie bitte? Wie heißt er?" Und sie sagte: "Maxim Sandovich." Ihre Mutter erzählte uns dann die komplette Geschichte. Er ist tatsächlich des Mädchens Urgroßvater, unsere Hauptfigur.

STANDARD: Klingt fast unheimlich.

Badora: Ja. Wir hatten sein Bild aus dem Internet: Das Mädchen hat seine Gesichtszüge. Wir überlegen, ob sie auftritt und fragt, ob jemand ihren Urgroßvater kennt. Es hat eine eigene Dimension, wenn Geschichte so ins Leben spielt.

STANDARD: Der Budapester Regisseur Viktor Bodó kommt 2014 auch wieder. Reden Sie mit ihm über die Situation in Ungarn?

Badora: Ja. Seine Truppe bekommt in Orbáns Ungarn fast keine Förderungen mehr. Die ganze Theaterlandschaft hat sich solidarisiert, wir haben Briefe Viktors auf unsere Website gestellt und versucht, über Konsul und Botschaft Kontakte herzustellen. Um Haltung zu zeigen und um Viktor beim Überleben zu helfen. Sein Stück "Das Ballhaus" wird im März uraufgeführt. Es erzählt die Geschichte von den 1920er-Jahren bis in die Gegenwart Ungarns in einem Tanzsaal - ohne Sprache. (Colette M. Schmidt, DER STANDARD, 20.6.2013)