Von allem ein bisserl etwas: In dieser Rolle gefallen sich die neuen Nischen-Player.

grafik: der standard/kirchbauer

Ein früher Allrounder: AMC Eagle. Ab 1979 als Coupé, Limousine und Kombi gebaut, versuchte der Allradler bei allen Bedürfnissen anzudocken. War seiner Zeit deutlich voraus.

Foto: amc

Der Jensen Interceptor (1966 - 1976) brachte Praxis-Nutzen in die GT-Klasse. Der Ableger Jensen FF (Bild) beherrschte sogar Allrad-Antrieb - auch der vermochte den Hersteller nicht zu retten.

Foto: jensen

BMW X4: Aktuelle Interpretation der Alleskönner-Idee, trägt ergo eine Coupé-Silhouette.

Foto: bmw

Range Rover Evoque Cabrio: Land Rover hat Anfang 2012 mit dieser Studie schon einmal gezeigt, wo die Reise hingehen könnte. Richtung Open Air nämlich.

Foto: land rover

Um der Kundschaft jeden nur erdenklichen Wunsch von den Augen abzulesen, splittert die Autoindustrie ihre Angebotspalette immer weiter auf. Nischen werden entdeckt, aufgespürt, aufgebrochen und gefüllt. So ist die Zahl der Fahrzeugtypen in den letzten Jahren und Jahrzehnten unaufhörlich gewachsen.

Gab es anfangs nur Sportwagen und Limousinen (schon die Kombis wurden den Lastwagen zugerechnet), wurde in den 1970ern der Kompaktwagen erfunden, und bald danach galten auch Geländewagen als chic und eroberten die Autobahn. Letztlich wurden auch noch die Kleinbusse geschrumpft und auf Minivans getauft, um ebenfalls die Überholspuren zu entern.

Nicht Fisch, nicht Fleisch

Mittlerweile hat das Publikum aber ein Luxusproblem: Möchte man überall dabei sein, müsste man sich schon mindestens fünf verschiedene Autos kaufen. Und wo sollte man damit parken, wer sollte sie regelmäßig zum Pickerl führen, und wer sollte das alles letztlich bezahlen? Da der Mensch bekanntlich trotz widrigster Umstände nie genug kriegen kann, wurde also noch eine weitere Fahrzeugklasse erfunden: die Crossover-Vehicles. Was für die einen nicht Fisch, nicht Fleisch ist, ist für die anderen geradezu die Erfüllung geheimster Sehnsüchte: der Geländesportwagen.

Viel wurde schon im Vorfeld darüber diskutiert, BMW hat es riskiert und damit gewonnen: Der X6 war der erste in Großserie gebaute Vertreter dieser Art, konsequent bis in die innerste Schraube hinein, also Coupé-Karosserie auf hochgestelltem Breitspurfahrwerk und Allradantrieb. Wobei man ja die Geländetauglichkeit dieses Konzepts nicht überschätzen darf. Letztlich geht es vielleicht doch eher darum, die löchrigen Straßen Osteuropas mit vorgespannter stets sprungbereiter Muskulatur und finsterer Mimik zu bügeln. Für die Bärenjagd nimmt man dann doch lieber den Mannschaftspanzer.

Die Suche nach dem allumfassenden Auto

Der Erfolg des X6 hat nicht nur BMW dazu beflügelt, den Mini Paceman als eine der zahlreichen Karosserievarianten des Retro-Kleinwagens zu etablieren, als Abkömmling des Abkömmlings Mini Countryman. Soeben schiebt BMW noch den X4 nach, eine etwas handlichere und mithin noch publikumsnähere Variante des X6. Auch andere Hersteller üben sich nunmehr im Gesamtkunstwerk Geländesportwagen, wollen den Trend schließlich nicht verpennen.

So etwas hat natürlich auch einen technischen Hintergrund. Es gab in der Automobilgeschichte ja schon etliche Versuche, das endgültige, das allumfassende Automobil zu kreieren, allein, es fehlte an wirtschaftlicher und technischer Schlagkraft. Man denke etwa an den Jensen Interceptor, einen Sportwagen mit Allradantrieb vom Traktorhersteller Ferguson, der eine Randerscheinung der Automobilgeschichte blieb, oder den amerikanischen AMC Eagle, eine vielbeachtete, aber in Europa doch weniger gekaufte Urform dieser Fahrzeugkategorie.

Mithilfe von Computern in der Entwicklung und Robotern in der Fertigung ist es mittlerweile aber relativ leicht geworden, die unterschiedlichsten Karosserievarianten auf die Räder zu stellen.

Symbolik trifft Praxiswert

Doch worin begründet sich das Phänomen nun wirklich? Das Wesen des hochgestellten multifunktionalen Sportwagens setzt sich aus seiner strengen Symbolik und seiner hohen Praktikabilität zusammen. Die Symbolik ist klar: Kraft, Dynamik, Durchsetzungsvermögen. Das Praktische liegt auf der Hand: Heckklappe, umlegbare Sitze, vier Türen, komfortabler Einstieg. Denn seien wir ehrlich: Wenn man endlich so erfolgreich ist, dass man sich ein üppig motorisiertes hübsches Auto leisten kann, will man sich wirklich nicht mehr bücken. Zumindest möchte man sich beim Aus- und Einsteigen nicht mit quietschenden Bandscheiben vor Passanten zum August machen.

Die systematische Betonung der sportlichen Note hat also Nachahmer gefunden, nicht nur in Europa, sondern auf der ganzen Welt. Der Nissan Juke etwa, ein hochbeiniger Kompaktwagen, wird gerne auch als X6 des kleinen Mannes bezeichnet. Angespornt vom Erfolg des Allianzpartners Nissan, bringt nun auch Renault eine bullige Variante des Kompaktwagens Clio mit grimmigem Blick namens Capture, allerdings erspart man sich den Allradantrieb hier von vornherein.

Geänderte Rahmenbedingungen

Einen cleveren Schritt in diese Richtung stellt der Range Rover Evoque dar: Inhaltlich ein klassisches Sports Utility Vehicle, stellt er durch sein besonders dynamischen Keil-Zitate sozusagen ein Crossover des Crossover dar. Er ist gewissermaßen auch schon sein eigenes Coupé.

Hier möchte man vielleicht noch fragen, warum erst jetzt, warum nicht schon früher? Die Antwort könnte in einer sehr nüchternen, eher technischen Analyse zu finden sein: Hochbeinige Fahrzeuge hatten immer einen unangenehmen Nebeneffekt, sie wiesen nämlich in Kurven erhebliche Seitenneigung auf. Das ist heute kein Thema mehr. Heute sind gleichermaßen komfortable wie spurtreue Fahrwerke auch bei hochbeinigen Autos realisierbar, umso leichter und besser, je mehr Elektronik im Spiel ist. (Rudolf Skarics, DER STANDARD Rondo, 20.6.2013)