Das Konzept der romantischen Liebe hat rein gar nichts mit der Realität zu tun. Denn es wurde in den Romanen des 18. Jahrhunderts zum Zwecke der Unterhaltung erfunden. Der Idealvorstellung nach sollte ein einziges Wesen das Übermenschliche leisten und Leidenschaft, Eros und Geborgenheit zugleich abdecken. Da dies in der Regel bis heute ein unerreichtes Ziel bleibt, nimmt die Lebensdauer der Beziehungen ständig ab. Mehr als jede dritte Ehe wird inzwischen in Deutschland geschieden, und immer mehr Menschen möchten erst gar nicht heiraten. Heißt es, dass unsere Vernunft über unsere Emotionen gesiegt hat? Ist das Konzept des Lebensabschnittsgefährten für das kurzfristige Kuschelbedürfnis inzwischen einfach zeitgemäßer?

Der "richtige" Partner

Nein, vielmehr zeigt dies sehr deutlich, wie ungeduldig und unruhig unsere Gesellschaft geworden ist. Denn der Gedanke einer permanenten Optimierung in der Partnerwahl tyrannisiert uns jederzeit. Und jedes Mal, wenn wir uns auf einen Partner festlegen, haben wir die Angst, ins falsche Regal gegriffen zu haben. Wir drehen uns um, damit wir einen zweiten Blick auf die gigantische Auswahl werfen können. Es entsteht ein Teufelskreis mit der Flucht aus einer Beziehung in die andere, die wir in der westlichen Neuzeit als "serielle Monogamie" titulieren. Das ist die "Cherry Picking"-Mentalität unseres egoistischen Zeitalters, durch die wir in bestimmten Kulissen und emotional aufgeladenen Momenten rasch in Versuchung gebracht werden können.

Drehbuch der Liebe

Das Wirken der Liebe ist ein Konsumverhalten geworden, ihr Wesen ist zu einem einzigen Schauspiel verkommen. Somit ist es für viele Liebende schwierig herauszufinden, welche Gefühle wirklich ehrlich gemeint sind. Daher verliert diese Art der Liebe gleichzeitig zum Bund der Ehe erheblich an Wert. Auch wenn die Ehe noch immer überwiegend in Kirchen vollzogen wird, stellt sie schon lange keinen religiösen Akt mehr da. Und sitzen die Ringe erst einmal an beiden Fingern, geht es mit der Liebe bergab. Was bleibt, sind nur Erinnerungen an eine Maskerade, bei der Mann und Frau für gewisse Zeit Prinz und Prinzessin spielen durften.

Die Nichterfüllung unserer Erwartungen an die Liebe ist das Produkt einer verhängnisvollen Affäre zwischen dem Geldhunger der Ökonomie und einem romantischen Liebesideal der Unterhaltungswelt. So schaffen Filme Sehnsüchte und definieren die Albträume der Konsumenten. Fantasierte Taten zieren vollkommen überzeichnete Figuren, also Vorbilder, an denen wir unsere Partner messen. Es wird ganz genau bestimmt, welche Bilder wir im Kopf haben sollen, wenn wir über die Liebe nachdenken. Folglich entsteht eine fiktionale Imagewelt der partnerschaftlichen Liebe, die den Konsumenten an eine Erwartungshaltung gewöhnt, die im realen Leben nicht existent ist. Weder säkulare, christliche noch islamische Gesellschaften können sich von dieser Einflussnahme auf ihre Gedankenwelt durch Medien aller Art befreien.

Fiktion der Autonomie

Wir haben die Liebe auf dem Altar des Kapitalismus geopfert. Sie hat sich bestimmte Rituale zu Eigen gemacht, die sicherlich mit religiösen Ritualen verglichen werden können. Einerseits wähnen sich die Menschen jenseits von Klischees, da sie sich als originell und kreativ betrachten, und zugleich wiederholen sie vorgegebene Muster der Konsumkultur. Jegliches Inszenierungsmittel wird eingekauft, um Situationen einzurichten, in denen das, was gefühlt werden soll, überhaupt gefühlt werden kann und letztendlich auch gefühlt wird.

Durch die emotionale Aufladung von Alltagsgegenständen soll das "einzigartige" Gefühl entstehen. Intensiviert wird dieser besondere Augenblick durch die Auswahl spezieller Musik, von Speisen oder von besonderer Beleuchtung. Doch so wie in vielen Beziehungen mangelt es selbst einer Massenkultur an der nötigen Abwechslung. Denn die Zeit der Provokation ist vorbei. Dementsprechend sind auch die Ansprüche an der Erotik maßlos gestiegen und haben viele Menschen in Perversionen abdriften lassen.

Einbeziehung der Vernunft

"Aber freilich wird durch theatralische Erfahrungen Glauben, Liebe und Hoffnung nicht vermehrt", schrieb einst Goethe. Liebesbeziehungen sind dadurch gefährdet, aber nicht unmöglich. Ihre Form ist letztlich bedeutungslos, denn die Liebe "besitzt nicht, noch lässt sie sich besitzen", schrieb der libanesische Dichter Khalil Gibran. Aus einer arrangierten Ehe in Neu-Delhi kann eine große Liebe wachsen, eine Zweckehe in Nairobi ein Leben lang halten und eine Liebesheirat in Paris kläglich scheitern. Wenn wir wissen, was möglich ist, sehen wir Dinge gelassener. Wenn wir die Realität in die Liebe einbeziehen, nur dann kann sie Bestand haben.

Wahre Liebe entflammt nicht wie ein Strohfeuer, um binnen kurzer Zeit wieder zu ersticken. Sie muss sich beweisen und erfordert Hingabe, Geduld, Standhaftigkeit, Treue und Opferbereitschaft. Liebe steht jenseits von statischen Verfahren der Relation zwischen Investition und Rentabilität. Insofern müssen wir verstehen, dass beim Streben danach, selbst geliebt zu werden, das Geben von Liebe nicht außer Acht gelassen wird. (Tahir Chaudhry, Leserkommentar, derStandard.at, 19.6.2013)