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Katzen würden Techno hören. Und Haydn auch.

Die Schriftstellerin Iris Hanika hat im Album des STANDARD am Wochenende einen bemerkenswerten Text geschrieben. Seine Aufgabe, kontrovers zu sein, hat er mit Bravour erfüllt. Denn an ihm war kein Vorbeikommen. Ob auf Facebook, Twitter, im Büro oder beim Fortgehen: Zumindest in meiner Blase wurde der Text intensiv diskutiert.

Leider war er so uninformiert, intolerant und unschlüssig, dass man ihn nicht so stehen lassen darf. Eine komplette Entgegnung würde hier den Rahmen sprengen, weshalb wir ein paar Dinge beiseitelassen sollten: Vergessen wir, dass die durchaus berechtigte Frage nach ständiger Beschallung (zum Beispiel im Supermarkt) nichts mit Techno-Musik zu tun hat. Vergessen wir, dass man Musikrichtungen auch persönlich furchtbar finden kann (mit Breakcore oder Folk kann man mich jagen), ohne ihren Fans die Intelligenz abzusprechen. Vergessen wir, dass Iris Hanika ein persönliches Nachbarschaftsproblem mit einem Zeitungskommentar statt mit direkter Kommunikation löst. Und vergessen wir den unsäglichen Seitenhieb auf die Loveparade-Katastrophe, die viel mit unverantwortlicher Planung und Überforderung, aber wenig mit der dort gespielten Musik zu tun hatte.

Nur von außen uniform

Konzentrieren wir uns stattdessen auf Hanikas Vorurteile bezüglich "Techno". Das Wort ist bekanntlich ein Chamäleon: Es wird gleichzeitig als Bezeichnung für elektronische Musik als Gesamtheit wie auch für eine spezielle Spielart ebendieser verwendet. Hanika bezieht sich offenbar auf Ersteres. Das ist – mit Verlaub – ungefähr so sinnvoll, wie Aussagen über "Arbeit" oder "Frauen" zu treffen.

Elektronische Musik hat seit ihrer Entstehung unzählige Subgenres entwickelt, die teilweise meilenweit voneinander entfernt liegen. Allein in der Clubmusik gibt es BPM-(Beats-per-Minute-)Zahlen, die von 110 (Deep House) bis 170 (Jungle) reichen. Wer sich den Unterschied vergegenwärtigen will: Er ist ungefähr so groß wie der zwischen einer Tretbootfahrt auf der Alten Donau und einem Wildwasser-Rafting.

Verabsolutierung der eigenen Ahnungslosigkeit

Elektronische Musik existiert in einer atemberaubenden Komplexität und Vielfalt. (Hier gibt es übrigens einen interaktiven Guide, der trotz mancher Unschärfe einen guten Überblick verschafft.) Jeder einzelne Stil und jedes Genre ist einem ständigen Wandel unterworfen. Die oft getätigte Aussage "Das klingt doch alles gleich!" ist eine Verabsolutierung der eigenen Ahnungslosigkeit. Ich höre auch nicht viele Unterschiede zwischen Thrash-, Speed- und Viking Metal. Genauso wenig wie ich Frühklassik und Wiener Klassik unterscheiden kann. Ich käme aber nie auf die Idee, dass andere Menschen die Unterschiede nicht hören würden.

Haydn würde Techno produzieren

Hanikas Verweis auf Haydn ist übrigens auf zweierlei Art und Weise falsch. Erst einmal ist es sehr problematisch, anderen vorzuschreiben, was bei ihnen eine "beglückende Leichtigkeit" auszulösen habe. Die Frage, welche Musik einem Menschen das Gefühl gibt, "alles zu schaffen", ist vor allem einmal eine sehr persönliche. Für manche sind es Texte (Dave Grohl hat einmal den schönen Satz gesagt: "Most white people dance to the lyrics. Don't think of your song as a beat. Think of it like a bumper sticker"), für manche ist es die transportierte Attitüde, für manche ein minutenlanges Gitarrensolo. Und für manche eben der Moment, in dem nach minutenlangem vorsichtigem Aufbau endlich das Main Theme einsetzt.

Aber Hanika entzieht sich mit der Erwähnung Haydns auch argumentativ den Boden unter den Füßen. Denn klassische Musik und viele Spielarten des "Techno" sind einander grundsätzlich ähnlich. Beide bedienen sich nicht am klassischen Schema der Popmusik (Strophe-Refrain-Strophe-Refrain-Bridge-Refrain), sondern gewinnen ihre Faszination aus Wiederholung, einem bewussten Aufbau, Variation eines oder mehrerer Themen und dem Wechsel in der Dynamik.

Genauso wie Noise oder Progressive Rock. Man mag die Worte piano und forte vielleicht nicht für diese Musik benutzen – vielfach würde es aber genauso Sinn ergeben. Dass Haydn und Techno eben kein Widerspruch sind, hat auch das "Re.Haydn"-Projekt gezeigt, bei dem Künstler aus der elektronischen Musikszene zum 200. Todestag des Komponisten seine Originalwerke remixten. (Aus Transparenzgründen sei hier erwähnt, dass das Projekt vom Monopol-Verlag abgewickelt wurde, bei dem der Autor dieses Kommentars beschäftigt ist.)

Bleibt noch die Behauptung, zu Techno sei keine Konzentration möglich. Während diese Zeilen geschrieben wurden, lief im Hintergrund Vessels Album "The Order of Noise". Den einen oder anderen klaren Gedanken hat das hoffentlich nicht verhindert. (Jonas Vogt, Leserkommentar, derStandard.at, 17.6.2013)