Die rote Linie ist nach Ansicht der USA überschritten. Zumindest US-Präsident Barack Obama haben die Geheimdienste überzeugt, dass in Syrien Chemiewaffen eingesetzt werden. 297 Tage sind seit Obamas Ankündigung vergangen, in diesem Fall würden die USA militärisch eingreifen.

Die Beweislage ist nach Ansicht von Experten dünn und lässt Erinnerungen an den Irakkrieg wachwerden. Der damalige Außenminister Colin Powell hat als Rechtfertigung für den Einmarsch im Irak nach den 9/11-Anschlägen vermeintliche Beweise für die Produktion von Massenvernichtungsmitteln präsentiert. Diese haben sich später als Lügengeschichten eines nach Deutschland geflohenen irakischen Ingenieurs herausgestellt.

Eine vor kurzem im deutschen TV-Sender ARD ausgestrahlte Dokumentation hat minutiös nachgezeichnet, wie Aussagen des Informanten "Curveball" zum gesuchten Kriegsgrund für die USA wurden. Der damalige deutsche Außenminister Joschka Fischer wusste um die Unglaubwürdigkeit dieser Quelle und schleuderte damals US-Verteidigungsminister Donald Rumsfeld bei der Münchner ­Sicherheitskonferenz das berühmte "I am not convinced" mehrfach entgegen.

Auch diesmal beeilten sich die Deutschen zu versichern, sie würden trotz der geänderten US-Haltung keine Waffen an syrische Rebellen liefern. Die EU-Staaten haben bekanntlich Ende Mai keine Einigung über eine Fortsetzung des seit zwei Jahren andauernden Verbots von Waffenlieferungen an Syrien finden können, weshalb die Regelung auslief. Die propagierte gemeinsame europäische Außenpolitik hatte sich einmal mehr als Schimäre erwiesen: Franzosen und Briten hatten sich für eine Bewaffnung der Opposition eingesetzt, Länder wie Österreich waren strikt dagegen.

Auf die jüngste Positionsänderung der USA reagierten aber sogar die Franzosen skeptisch. Dass es im UN-Sicherheitsrat grünes Licht für die Einrichtung einer Flugverbotszone geben könnte, schließt Paris angesichts des anhaltenden Widerstandes der UN-Vetomacht Russland aus. Moskau protestierte umgehend gegen die ­US-Unterstützung der Rebellen. Im Gegensatz dazu hatte es 2011 für die Militäraktion einzelner EU-Staaten in Libyen ein UN-Mandat gegeben. In Mali griff Frankreich auch auf Basis eines UN-Beschlusses ein. Sollten sich die USA zur Einrichtung einer Flugverbotszone ohne UN-Mandat durchringen, wäre dies ein Eskalationsschritt. Dann wären die USA nach Irak und Afghanistan in einen weiteren Krieg involviert, was Obama bisher strikt vermeiden wollte.

Schon jetzt stellt sich die Frage, an wen die USA eigentlich die Waffen liefern werden. Die National Syrian Coalition ist zersplittert. Wer tatsächlich eine vertrauenswürdige Gruppierung innerhalb dieser losen Allianz ist, lässt sich in einem Kriegsgebiet nicht kon-trollieren.

Der Zeitpunkt der Ankündigung lässt darauf schließen, dass es Obama nicht um aktives Eingreifen, sondern um etwas anderes gegangen ist: zum einen um verbale Unterstützung der Rebellen, die laut Expertenberichten in den vergangenen zwei Wochen militärisch stark ins Hintertreffen geraten sind. Zum anderen wird die Ankündigung dazu beitragen, dass Obamas Datenaffäre Prism als Top-Thema verdrängt wird. Obama nimmt sich damit selbst aus der Schusslinie.  (DER STANDARD, 15.6.2013)